Einsamkeit als literarischer Topos ist stilbildend, ist namensgebend für ganze Genres. Für das der Robinsonade beispielsweise, denn wer denkt beim Thema Einsamkeit nicht mit als Erstes an den armen Robinson, wie er fernab von allem, was ihm lieb und wert ist auf der sprichwörtlichen "einsamen Insel" 28 Jahre lang vor sich hin darbt, vergesellschaftet lediglich mit einem armen Wilden, den er sich erst einmal schön brav zivilisieren muss, sowie einiger weiterer Wilder, die sich freilich nicht so gerne zivilisieren lassen wollen und den Herrn Robinson viel lieber auf dem Speise- denn auf dem Lehrplan hätten. Und damit hat es sich auch schon, dies ist in einem Satz zusammengefasst das, woran wir uns erinnern, wenn wir an Robinsons Insel denken, der Inhalt der Bücher aus unserer Kindheit. "Für die Jugend bearbeitet", wie es auf dem Titelblatt, und meist noch unter Nennung des Namens des Literaturmetzgers, so schön hieß. Bearbeitungen, die - wie nebenbei gesagt auch ihre zahlreichen mehr oder minder werkgetreuen Hollywood-Umsetzungen - nicht viel mehr als den arg lädierten Rumpf des ursprünglichen Romans von Daniel Defoe übriglassen. Bearbeitungen, um den Text einerseits für die angesprochene Jugend leichter lesbar zu machen, hatte doch der Autor sein Buch für den erwachsenen Leser konzipiert. Aber auch, um die Jugend vor der einen oder anderen vielleicht allzu umstürzlerischen Fragestellung zu schützen, die da stellenweise zwischen den Zeilen hervorbleckt.
Wer die Einsamkeit in der Literatur sucht, wie sie noch nicht dem Stift des bei allem Wohlwollen eben doch Zensors anheimgefallen ist, der wird unter anderem fündig im Werk des einer breiten Öffentlichkeit zu Unrecht eher unbekannten Amerikaners Howard Phillips Lovecraft.
Schon Lovecrafts Biographie ist vom Thema der Einsamkeit geprägt. Nach dem frühen Tod des Vaters - an der Syphilis, wie man munkelt - von Mutter und Tanten aufgezogen, verbrachte er außer einer kurzen Episode im quirligen New York nahezu sein gesamtes Leben im eher beschaulichen Providence im Bundesstaat Rhode Island. Der Schulbesuch erfolgte wegen "Verhaltensauffälligkeiten" nur sporadisch, ein Abschluss blieb ihm ebenso verwehrt wie das ersehnte Studium, seine sozialen Kontakte pflegte er hauptsächlich in einer letztlich mehrere zehntausend Briefe umfassenden Korrespondenz in die ganze Welt. Seine letzten, teilweise in bitterer Armut verbrachten Jahre waren auch seine produktivsten. Zusammen mit dem ungleich bekannteren Edgar Allan Poe gilt er als der Wegbereiter der American Gothic Novel. Das Thema der Einsamkeit verarbeitet Lovecraft in keinem seiner Werke besser als in der Erzählung "Der Außenseiter" von 1921.
Den Inhalt des Textes komprimiert wiederzugeben sei ein Auszug aus der allwissenden Wikipedia bemüht:
"(...) Ein nicht näher vorgestellter Erzähler [berichtet] von seinem Leben in einem dunklen, verlassenen Schloss und seiner Sehnsucht nach Licht und menschlicher Gesellschaft. Alles was er weiß, erfährt er aus verstaubten Büchern in der Bibliothek. Er hat keine Ahnung, wie er in dieses Schloss gekommen ist, sondern scheint schon immer dort gelebt zu haben. Es ist ihm unmöglich, das Schloss zu verlassen, denn sobald er sich ein Stück (...) entfernt, überkommt ihn eine unerklärliche Furcht, die ihn zwingt, (...) umzukehren. [Nach dem Entschluss, den höchsten Turm des Schlosses zu ersteigen, findet er einen Ausgang vor.] Dort schockiert ihn, dass er sich nicht wie erwartet in großer Höhe befindet, sondern auf der Ebene einer nächtlichen Landschaft (...).Er kommt zu einem anderen Schloss, [in dem] in einem hell erleuchteten Saal ein Fest im Gange ist. [Er betritt das Gebäude], worauf eine Panik unter den Anwesenden entsteht, die fluchtartig den Saal verlassen. Der Erzähler entdeckt hinter einem Vorhang ein abstoßendes Wesen, das sich auf ihn zuzubewegen scheint (...)." Als er allerdings die Hand danach ausstreckt, berührt er nur die Oberfläche eines Spiegels.
Von Defoe heißt es in der Literatur, in seinem Robinson trete "der Mensch in die Ödnis des Raumes, der Zeit und der Ewigkeit." In Lovecrafts "Außenseiter" tritt die Ödnis des eigenen Selbst hinzu. Der Protagonist wähnt sich die ganze Zeit über menschlich, getreu der Beschreibung des Menschlichen, wie er sie aus den Büchern seines einsamen Schlosses kennt, sucht die Nähe von Menschen und freut sich auf sie. Für die menschliche Gesellschaft, die ihm die Erlösung aus seiner Einsamkeit verheißt, bringt er allerdings nichts als Schrecken. Ein Schrecken, der ihn auch selbst erfasst, als er auf die "unheilige Scheußlichkeit, die glotzend vor [ihm] stand" zutaumelt. An dem Punkt, an dem er Erzähler feststellt, dass er selbst dieses Monster ist, das die Menschen, nach denen er sich so sehr gesehnt hatte, zur Flucht veranlasst, findet die totale Entmenschlichung statt. An dieser Stelle hört Lovecrafts Geschichte auf, nur spannende Unterhaltungsliteratur zu sein. Aus der physischen Einsamkeit des einsamen Schlosses wird eine soziale Einsamkeit, die Einsamkeit des Hässlichen. Das Mensch sein wollen, das Teilhaben wollen an der menschlichen Gesellschaft, mutiert zur Hybris, der prompt die Nemesis des ausgestoßen seins folgt. Parallelen zu Lovecrafts Biographie werden erkennbar, wie auch Parallelen zu menschlichen Schicksalen seitdem und in der Gegenwart.
Lovecrafts Außenseiter resigniert. Er räsoniert über den Kosmos, darin seien "sowohl Balsam wie auch Bitternis, und dieser Balsam ist Nepenthes." Er verlässt, die Menschen und steigt ab in die Niederungen des Abartigen. "Jetzt", so berichtet er, "reite ich gemeinsam mit den schadenfrohen und freundlichen Ghoulen auf dem Nachtwind und spiele bei Tag in den Katakomben (...). Ich weiß, dass ich nie das Licht sehen werde, bis auf das des Mondes (...), und für mich gibt es auch kein Vergnügen, außer den unbeschreiblichen Festen (...) unter der Großen Pyramide; doch in meiner neuen und wilden Freiheit ist mir die Bitterkeit meines Andersseins beinahe willkommen."
In Lovecrafts Erzählung ist es das Hässliche, das die Trennung zwischen der Welt der Menschen und der Welt der Ausgestoßenen vollzieht. In unserer Welt trägt es viele Namen. Krankheit, Armut, Alter, Homosexualität, Migration, so vieles, was "den Anderen" vermeintlich anders macht. Einen Balsam zu finden ist schwer. Möglicherweise kommt er aus der Erkenntnis, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt -- Hässlichkeit ebenso.