Erschienen in : Donaustrudl Jugendwahn & Altersstarrsinn
Nr. 191, Februar 2015

 

o.T. { Je | suis | Charlie }

An sich bin ich es ja wirklich Leid. Ich habe keine Lust mehr, es langweilt mich und geht mir auf die Nerven, nur um akzeptiert zu werden immer die gleichen Second Hand Statements wiederkäuen zu müssen wie alle anderen auch. Aber um der sozialen Angepasstheit, und um des guten Tones willen, bitteschön: Der Islam ist ebenso wenig böse wie das Christentum, der Koran fordert auch nicht in größerem Umfang zur Gewalt auf wie die Bibel, und Ereignisse wie die Morde von Paris nutzen in erster Linie in Frankreich dem Front National und Frau Le Pen und in Deutschland dem Pegida-Sumpf und den AfD-Pfeifen.

Mit diesen wenigen Worten ist alles gesagt, was in den letzten Stunden und wohl auch noch in den nächsten Wochen in jedem wohlwollenden und zur Besonnenheit aufrufenden Kommentar zu den Morden bei Charlie Hebdo festgestellt wird. Und damit könnte ich nun an sich zur Tagesordnung übergehen und weitere Ausführungen den Leuten überlassen, die dafür auch bezahlt werden.

Und dennoch … Klappe noch nicht ganz zu, Affe noch nicht ganz tot.

Denn bei aller mehr oder auch weniger wohlwollenden Fixierung auf den Islam ist Religion doch eine zwar hinreichende, aber nicht unbedingt notwendige Voraussetzung, um zum psychopathischen Massenmörder zu werden. Wer Beweise haben will, dem empfehle ich den Griff nach einem beliebigen Geschichtsbuch. Erst vor kurzen jährte sich wieder die so genannte Entkulakisierung der Sowjetunion und der Holodomor, der Hungertod von geschätzt zwischen 3,5 und 7,5 Millionen Menschen als direkte Folge der von Stalin betriebenen „Liquidierung des Kulakentums als Klasse“. Und als Historiker kann ich sagen, dass auf jedes dieser Ereignisse, das Eingang in die Geschichtsbücher gefunden hat, gut ein Dutzend kommen, denen dies nicht gelungen ist, und die allesamt nicht unter dem Deckmäntelchen der Religion gesprossen sind.

Wer sagt eigentlich, dass Religion als einziger Nährboden für Wahnsinn dient.

Oder anders gesagt: Man muss nicht an einen wie auch immer genannten Gott glauben, um ein impertinentes, bösartiges, intolerantes Arschloch zu sein.

Aber passt schon. Damit habe ich jetzt endgültig gesagt, was ich sagen wollte, es ist verhallt, und nun dürfen die anderen wieder mit Wiederkäuen weitermachen. Es ist ja auch um so vieles einfacher. Wenn man sich mit etwas, was über den Horizont des eigenen Tellerrandes hinausgeht, nicht beschäftigen will, dann prügelt man eben mit seinen Vorurteilen so lange darauf ein, bis es in die Schublade passt. Und das nennt an am Ende dann Meinungsbildung.

Und übrigens, der nächste, der mich fragt, ob ich an Gott glaube kriegt erst mal eine gescheuert. Denn solange ich nicht versuche, damit in jemanden anderes Leben eindringen zu wollen bleibt das – ganz wie Lenin es wollte – meine Privatsache.

Geschrieben am 8.1.2015

 

 

Nachtrag:

Es ist nur eine Kleinigkeit, aber dennoch vielsagend. Anstatt der oben zu sehenden Illustration habe ich unseren Layouter gebeten, meinen Beitrag mit dem links zu sehenden Bild zu illustrieren. Getan hat er es nicht, mein Text erschien statt dessen ohne Illustration. Und ich bin müde geworden, darüber zu spekulieren, woran das liegen mag. Verschweigen will ich es trotzdem nicht, will ich meiner journalistischen Sorgfaltspflicht nachkommen. Es bleibt eben leider dabei, daß auch gerade denen, die am lautesten nach ihr schreien die Meinungsfreiheit nur so lange heilig ist, solange es ihre Meinung ist, die geäußert werden soll.
Toleranz, so dachte ich immer, bestehe nicht darin, regelmäßig das nachzubeten, worin sich ohnehin alle einig sind, sondern gerade das zuzulassen, worüber es unterschiedliche Ansichten gibt. Aber inmitten tapferer Wackersdorf-Veteranen und strammer Jungrevolutionäre liege ich damit wohl falsch.
Eine geschätzte Kollegin veröffentlichte in der aktuellen (02/2015) Ausgabe unserer Zeitung unter dem Titel "Je suis Baga" einen Text, in dem sie darum bittet, vor dem Hintergrund der Morde von Paris nicht die Verbrechen der Boko Haram zu vergessen. Wohl gemeint, und dennoch ist es dann doch eher so, daß ein paar tausend tote Neger irgendwo in Afrika nicht so viel wert sind wie ein Dutzend tote Schmierer in Frankreichs Hauptstadt. Ein paar tote Bullen sind noch weniger wert.
Und jetzt regt Euch bitte alle schön auf, vor allem über meine Wortwahl. Einsatzziel erreicht. Danke.

Je suis Policier -- Je suis Charlie


 

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