Erschienen in : Donaustrudl Recht & Gesetz
Nr. 143, März 2011
Warum musste Tennessee Eisenberg sterben? Dieser Satz war in den letzten annähernd zwei Jahren vermutlich in jeder deutschen Zeitung mindestens einmal zu lesen. Wenn es so etwas wie ein Lexikon der Standardformulierungen für Journalisten gibt, dann steht unter der Rubrik "Tragische Todesfälle" der Satz "Warum musste [hier Namen einfügen] sterben?" sicher an vorderster Stelle. Und natürlich ist es eine rein rhetorische Frage, denn selbstverständlich weiß jeder Kollege, der sie stellt, in dem ihr nachfolgenden Text eine genaue Antwort zu geben. Daraus entstehen viele Antworten, die sich im Idealfall soweit voneinander unterscheiden, dass ein differenziertes Bild des hinterfragten Sachverhaltes entsteht, mithin also das, was die Funktion einer freien Presse in der mündigen Gesellschaft vorstellt. Oder es verdichtet sich alles auf eine uniforme, meist einfache Antwort, die genau das Gegenteil ist, nämlich meist nicht differenziert, mit der Tendenz, den Anspruch der einzig wahren für sich zu erheben sowie alternative, nicht dem Mainstream entsprechende Erklärungsansätze als politisch inkorrekt, als unerwünscht und böse beiseite zu schieben. Aus veröffentlichter wird öffentliche Meinung, ein moderner Mythos wird geboren.
Im Falle des Tennessee Eisenberg lautet der Mythos "Ein harmloser Student steht friedlich in seiner Küche, plötzlich kommt die Polizei und erschießt ihn." Obwohl der tatsächliche Tathergang gut und für jedermann einsehbar dokumentiert ist, allen voran auch auf der offiziellen Internetseite www.tennessee-eisenberg.de wie auch auf der Seite der Staatsanwaltschaft Regensburg (http://www.justiz.bayern.de/sta/sta/r/presse/archiv/2009/02361/) musste ich bei zahlreichen Gesprächen in den letzten beiden Jahren immer wieder feststellen, dass viele Menschen an der vereinfachten Version festhalten. Vieles an Gerüchten und Hörensagen rankt sich um diesen Mythos, und jeden Tag bringt er neues davon hervor. Also habe ich mich auf die Suche nach validen Informationen gemacht.
Tennessee Eisenberg, so heißt es, befand sich zum Zeitpunkt der Ereignisse in einem "psychischen Ausnahmezustand"; er selbst hat die Art dieses Ausnahmezustandes benannt, gemäß des oben erwähnten Berichtes der Staatsanwaltschaft habe er zu seinem Mitbewohner gesagt, er befände sich "im Blutrausch", was den Mitbewohner veranlasst hat, aus der Wohnung zu fliehen und die Polizei zu alarmieren. Darüber hinaus hatte Eisenberg angekündigt, sich möglicherweise selbst zu töten. Für eintreffende Einsatzkräfte besteht in einer solchen Situation dringendster Handlungsbedarf, Zeit für weitergehende Koordinierungsmaßnahmen bleibt kaum, da mit jeder verstreichenden Minute die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Suiziddrohung in die Tat umgesetzt wird.
Im weiteren Verlauf wurden von den beteiligten Polizeibeamten mehrere nicht tödliche Schüsse auf Eisenberg abgefeuert, unter anderem ein Durchschuss des Kniegelenks und ein Schuss durch den Arm. Ein befreundeter ehemaliger Angehöriger der Fallschirmjägertruppe, mithin also einer militärischen Eliteeinheit, bestätigte mir, dass ein normaler Mensch nach solchen Verletzungen eigentlich handlungsunfähig sein müsste. Eisenberg zeigte sich jedoch in seinem Handeln völlig unbeeindruckt, ebenso wie schon nach dem vorausgegangenen Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz. Dies spricht für den psychischen Ausnahmezustand. Wie dieser Zustand jedoch zustande gekommen ist, darüber scheiden sich die Geister. Ein verbreitetes Gerücht, dem ich immer wieder begegne lautet, dass Eisenberg möglicherweise unter Drogeneinfluss gehandelt hätte. Ich habe mich bei einem mir bekannten Mediziner, der auf Drogen und ihre Wirkung spezialisiert ist nach dieser Möglichkeit erkundigt, ich erhielt zur Auskunft, von einer "Schmerzreaktion auf Drogenkonsum zu schließen, oder das auch nur als die wahrscheinlichste Möglichkeit zu betonen", sei "nicht seriös" - ein weiterer Eisenberg-Mythos aufgelöst. Sowohl der erwähnte Bericht als auch eine telefonische Rückfrage bei der Staatsanwaltschaft bestätigten mir dementsprechend auch, dass bei der Autopsie Eisenbergs keine bewußtseinsverändernden Substanzen festgestellt worden sind.
Aber soviel man sich auch mit dem Zustand Tennessee Eisenbergs beschäftigen mag, audiatur et altera pars – auch die andere Seite möge gehört werden, lernt man als Jurist wie auch als Historiker. Wie stand es um den Zustand der letztlich von Eisenberg bedrängten Polizisten? Der Bericht der Staatsanwaltschaft spricht eine deutliche Sprache: Todesangst habe der Beamte empfunden, als Eisenberg nach all den Schüssen ihn immer noch mit dem Messer bedroht habe. Ein Messer, so wurde mir von Beamten der Kripo Regensburg im Rahmen einer Zivilcourage-Schulung vergangenen Dezember erklärt, sei mit einer der gefährlichsten Waffen überhaupt. Todesangst zu empfinden, wenn man von einem Menschen "im Blutrausch", bei dem alle Stufen des unmittelbaren Zwangs bis hin zum nicht tödlichen Schusswaffeneinsatz keine Wirkung gezeigt haben, angegriffen wird, das ist eine zutiefst menschliche und damit normale Reaktion. Die meisten Menschen wenden sich in einer solchen Situation zur Flucht, was einige der Polizisten auch getan haben, was aber der eine Beamte nicht konnte, da er von Eisenberg in die Ecke gedrängt worden war. Darüber hinaus musste er befürchten, dass sich der Angreifer die Waffe eines seiner Kollegen angeeignet hatte, die jener auf dem Rückzug verloren hatte. In dieser Situation hat der Beamte – und auch sein Kollege, der ihm zu Hilfe gekommen war – genau das getan, was jeder von uns auch getan hätte. Er hat sich verteidigt.
Es geht mir nicht darum, das Andenken an Tennessee Eisenberg zu schmälern oder den Tatverlauf zum x-ten Mal zu rekapitulieren. Tennessee Eisenberg wurde Opfer seines seelischen Ungleichgewichtes und einer tragischen Verknüpfung letztlich katastrophaler Ereignisse. Daraus jedoch den beteiligten Polizeibeamten oder gar der Polizei als ganzes eine Täterrolle zu konstruieren halte nun ich wiederum für nicht seriös und auch mit meinem journalistischen wie akademischen Ethos als Historiker für nicht vereinbar. Aber ich möchte einen Mythos dekonstruieren, der den Verstorbenen zusätzlich dadurch diskreditiert, dass er seinen tragischen Tod als Instrument für oft nur allzu durchsichtige Meinungsmache missbraucht.
Bleibt noch, mich bei Polizei und Staatsanwaltschaft sowie bei meinem "Arzt für alle Fälle" für die offene und konstruktive Zusammenarbeit zu bedanken. Vielleicht konnten wir die Diskussion um den Tod Tennessee Eisenbergs in eine etwas konstruktivere Richtung lenken, und in diesem Zusammenhang freue ich mich natürlich über Ihre Rückmeldung an info@donaustrudl.de