vorgesehen für : Donaustrudl
Nr. 168, April 2013
nicht veröffentlicht

 

Eine Stadt sucht einen Serientäter

„Ort und Zeit erscheinen günstig“, so lautet der letzte Tagebucheintrag des Mannes, der als der „Serienvergewaltiger von Regensburg“ mehr als ein halbes Jahr eine Stadt in Atem gehalten hat. Letztlich war es dann eine daktyloskopische Spur, also der aus jedem Kriminalfilm bekannte Fingerabdruck, die es ermöglichte, einen Tatverdächtigen zu identifizieren – und festzustellen, dass dieser Tatverdächtige bereits im September letzten Jahres, nur wenige Wochen nach seinem letzten Vergewaltigungsversuch, Suizid begangen hat. Für die Regensburgerinnen gehen damit sieben Monate der Angst zu Ende. Für die Ermittler, darauf weist Polizeipräsident Rudolf Kraus gleich zu Beginn der Pressekonferenz hin, sind es 16 Jahre kriminalistischer Arbeit, die mit den neuen Erkenntnissen ihr vorläufiges Ende finden; 16 Jahre, in denen der zwischenzeitlich verstorbene Tatverdächtige in Regensburg sein Unwesen trieb. Um das auch den Ermittlern jeden Tag aufs Neue vor Augen zu führen trägt die mit dem Fall befasste „Ermittlungsgruppe 1997“ ihren Namen, nach dem Jahr der ersten einschlägigen Tat. Trägt, nicht trug, und deshalb auch nur vorläufiges Ende, denn die Arbeit der Gruppe geht weiter. In der Wohnung des Verstorbenen wurden umfangreiche Tagebücher sichergestellt, die nun ausgewertet werden, das Ziel ist so einfach wie monströs, nämlich dem Verdächtigen außer den drei nachgewiesenen möglicherweise auch noch andere, bislang ungeklärte Fälle versuchter und vollendeter Vergewaltigung der letzten 16 Jahre zuordnen zu können. Die Möglichkeit ist naheliegend. Anfang der neunziger Jahre verbüßte der Tatverdächtige in der Schweiz bereits eine mehrjährige Haftstrafe wegen mehrerer Sexualdelikte, 1995 wurde er in seine bundesdeutsche Heimat abgeschoben, um dort, der Gedanke drängt sich auf, gleich weiterzumachen.

Der Tatverdächtige, so heißt es richtig, denn auch für Verstorbene, so erklärt Oberstaatsanwalt Wolfhard Meindl mehrfach, gilt die Unschuldsvermutung. Danach hat jeder einen Anspruch darauf, so lange als unschuldig zu gelten, bis seine Schuld durch ein ordentliches Verfahren erwiesen ist. Dies ist nun nicht mehr möglich, und deshalb wird er auf immer der Tatverdächtige bleiben, sei der Tatverdacht auch noch so dringend. Diese sprachliche Konvention macht es deutlich, was bei aller Sachlichkeit der Atmosphäre dennoch spürbar in der Luft des Konferenzsaales im Polizeipräsidium liegt, nämlich dass die Ermittlungen mit dem Tod eines Menschen ihren Abschluss gefunden haben. Und so ist es nach allen Sachfragen auch die Frage des Berichterstatters nach der persönlichen Befindlichkeit der Ermittler im Zusammenhang mit den Ereignissen, die zunächst nur zögerlich beantwortet wird. Ein verständliches Zögern, berührt die Frage abseits kriminalistischer Details die emotionale Teilnahme der Beamten an der höchst kontroversen Situation. Jeder Suizid macht betroffen, so Kriminaldirekor Franz Schimpel, Leiter der KPI Regensburg. In der Sachlichkeit der Pressekonferenz blitzen hier die Emotionen gerade auch der Männer auf dem Podium auf.

Und an dieser Stelle gerät auch der Berichterstatter an seine Grenzen. Suizid und sexuelle Gewalt sind Themen, die ihn in den letzten Jahren in seiner Arbeit für den Donaustrudl immer begleitet haben, durchweg aus der Opferperspektive. Beim Suizid von Brennberg liegt die Sache anders.

Die Presse ist angehalten, neutral zu sein, ein hoher theoretischer Anspruch, in der Praxis, wie nur allzu bekannt, oft nur schwer umzusetzen. „Die Motivlage (…) für den Freitod ist ungeklärt“, so heißt es auch ganz neutral in der Presseerklärung. Dahinter steht die Frage, inwieweit die Öffentlichkeitsfahndung ihren Beitrag dazu geleistet hat, und damit auch die Medien, auch der Donaustrudl, und auch der Berichterstatter (der sich in der dritten Person nennt, um bei diesem Thema die gebotene professionelle Distanz wahren zu können).

Den Ausgang der Ermittlungen zu bewerten, die Was-wäre-gewesen-wenn-Frage zu stellen, oder gar die Frage nach Schuld und Sühne, verbietet sich, zumindest wenn man sich bemüht, seriöse Pressearbeit zu leisten, und wird daher hier getrost anderen überlassen. So mancher Kollege mit dem Hang zu einer eher tendenziösen Berichterstattung wird wohl auch eine klammheimliche Enttäuschung darüber verspüren, dass sich ein Serienvergewaltiger denkbar schlecht dafür eignet, post mortem als Märtyrer aufgebaut zu werden.

„Ort und Zeit erscheinen günstig“ - es ist unklar, ob sich dieser Satz auf den geplanten Suizid oder möglicherweise auf einen weiteren geplanten Übergriff bezieht. Mit dieser Frage, und mit den anderen, den ethischen Fragen, die aus ihr folgen, müssen die ermittelnden Beamten und muss auch der Berichterstatter ganz für sich alleine umgehen.
Und möglicherweise ist das gut so.

 

 


 

[Zurück zum Index]