erschienen in : Donaustrudl Frühlingsgefühle
Nr. 194, Mai 2015

 

So hell wie 10.000 Kerzen

So hell wie zehntausend Kerzen – das ist kein mystisches Erlebnis, sondern beschreibt die Helligkeit der Lichtwand auf Station 18E des Bezirksklinikums Regensburg. Und um Licht geht es in der Hauptsache bei meinem Gespräch mit Oberarzt Dr. Volker Busch, und welche Bedeutung es für die Reaktion des Menschen auf den Jahreszeitenwechsel hat.
Denn der menschliche Körper unterliegt einem komplexen System von Rhythmen. Ein Mensch, komplett isoliert von äußeren Faktoren, pendelt sich bei einem circadianen Rhythmus von etwa 25 Stunden ein. Beeinflusst durch äußere Zeitgeber, wie den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus und auch künstliche Faktoren, wie das Diktat der Uhr oder die Intervalle von Arbeit und Freizeit wird unser Zeitmanagement auf die bekannte 24-Stunden-Basis synchronisiert.

Und genauso, wie wir einen Tageszeitenrhythmus haben, hat der menschliche Körper auch einen neurobiologischen Jahreszeitenrhythmus, für den sinngemäß genauso gilt, dass er immer wieder durch äußere Taktgeber neu getriggert wird.
Wenn nun der Frühling ins Land zieht, gerät unser Körper erst einmal aus dem Takt. Wir befinden uns innerlich noch im Wintermodus, im Herbst sind wir ruhiger geworden, wir haben einen gewissen Appetit auf Zucker entwickelt, um uns den sprichwörtlichen Winterspeck anzufuttern, und auch unser Schlafrhythmus hat sich den langen Nächten und den kurzen Tagen angepasst. Und plötzlich stellt unsere Umwelt wieder ganz andere Rahmenbedingungen bereit.

Wenn im Frühling die Tage länger und der Himmel klarer wird, erhöht sich die Lichtausbeute, die durch das menschliche Auge einfällt. Als direkte Folge daraus fährt der Körper die Produktion des „Schlafhormons“ Melatonin zurück. Stattdessen wird vermehrt Serotonin ausgeschüttet, umgangssprachlich bekannt als das „Glückshormon“, wobei ein gesteigertes Wohlbefinden nur eine der komplexen und zahlreichen Wirkungen dieser Substanz darstellt. Eigentlich sollte der Mensch also mit Einsetzen des Frühlings wach und fit sein und vor Tatendrang übersprudeln.
Statt dessen hält sich der Körper noch eine Zeit lang am winterlichen Modus fest. Ein weiterer, sehr simpler Effekt, tritt hinzu, mit steigenden Umgebungstemperaturen wird der Körper stärker durchblutet, die Blutgefäße weiten sich, mit dem Ergebnis, dass der Blutdruck absackt.
Das paradoxe Resultat dieses Phänomens ist die sprichwörtliche Frühjahrsmüdigkeit.
Entgegen aller bisweilen ironischer Verwendung des Begriffs ist die Frühjahrsmüdigkeit physiologisches Fakt. Aber, und darauf legt Dr. Busch im Gespräch wert, sie ist keine Krankheit, sondern natürliche Anpassung des Körpers an veränderte Umweltbedingungen und mit einigen einfachen Verhaltenstipps leicht in den Griff zu bekommen.

Der Schlüssel dazu ist, wie eingangs angedeutet, das Licht.
Als Faustregel gilt, dass eine Christbaumkerze eine Lichtstärke von ca. einem Lux, so die physikalische Einheit, erzeugt. 5.000 - 10.000 Lux sollte sich ein Mensch für sein Wohlbefinden aussetzen. Man benötigte also schon einen sehr großen Weihnachtsbaum. Oder eine Lichtwand wie im Klinikum. Oder im Idealfall natürlich Sonnenlicht. Denn durch künstliche Lichtquellen lässt sich der Lichtbedarf des Menschen nur sehr bedingt decken. Nicht nur die Menge, auch die Qualität, sprich das Spektrum der Wellenlängen im Licht, sind für eine optimale Wirkung ausschlaggebend. Oft dargebrachte Alternativen, wie der Besuch im Solarium oder im Elektrohandel erhältliche, einschlägig beworbene Lampen nutzen wenig bis gar nichts.
Eine medizinische Lichttherapie kann helfen, oder eben aber die liebe Sonne. Und der soll sich der Frühjahrsmüde so gut es geht aussetzen. Das geht auch, wenn man z.B. durch Arbeit in einen Tagesrhythmus eingebunden ist, z.B. durch einen Spaziergang vor der bzw. in die Arbeit, denn frühes Aufstehen wird auch empfohlen.

Was ist aber nun mit den Frühlingsgefühlen im eher volkstümlichen Sinne der zwischenmenschlichen Aspekte von Verhalten und Biologie?
Als ich mich das letzte Mal verliebt habe, so werfe ich ein, war es Januar, und ob dies nun Indiz dafür sei, dass mit mir etwas nicht stimme. Ich lasse mich aber sogleich beruhigen. Die Natur hat es so eingerichtet, dass wir Menschen uns das ganze Jahr über verlieben, und auch, dass wir das ganze Jahr über fruchtbar sein können. Würden wir uns ausgerechnet im Frühjahr verstärkt reproduktiven Tätigkeiten hingeben, hieße dies ja, dass die Mehrzahl der Kinder im Winter zur Welt käme, also in einer Jahreszeit, in der zumindest unsere höhlenbewohnenden Vorfahren eher mit Ressourcenmangel und feindlichen Umweltbedingungen zu tun hatten. Das wäre also für die Arterhaltung eher kontraproduktiv.

Die klassischen Frühlingsgefühle als kulturelles Phänomen haben andere Wurzeln. Bei besserem Wetter und längerer Tagesdauer neigen wir eher dazu, unsere modernen Höhlen zu verlassen, wir halten uns länger im Außenbereich auf, sind natürlich auch allgemein aktiver, treffen verstärkt auf Artgenossen und knüpfen wieder mehr Kontakte als in der dunklen und kalten Jahreszeit. Die Interaktion mit anderen Menschen steigt in ihrer Quantität an. Das Frühlingsgefühl, unter dem im weitesten Sinne erotischen Aspekt, ist also viel eher sozial, denn neurobiologisch bedingt.

Alles in allem ist der nahtlose Übergang vom Winterblues zur Frühjahrsmüdigkeit also nichts schlimmes, sondern uns von der Natur mitgegeben. Und durch richtiges Verhalten kann man ihm auch eher früher als später Herr werden.

Dann klappt es auch mit den Frühlingsgefühlen, und alles ohne eine einzige Kerze!

 

Dr. Busch können Sie auch auf seiner Webseite "www.volkerbusch.de" besuchen!

 

 


 

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