in : Donaustrudl Alternatives Reisen
Nr. 206, Mai 2016

 

Die Saat, die in uns keimt

Montagmittag. In meinem E-Mail-Postfach finde ich die Einladung zur Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung des Sicherheitsberichts 2015 im Polizeipräsidium. Ich melde mich telefonisch an und vom Pressesprecher höre ich, dass man sich freue, mich zu sehen.
Zwei Stunden später. Ich komme von meinem ersten Frühlingsspaziergang zurück und finde eine weitere polizeiliche Pressemeldung vor. Drei syrische Asylbewerber im Alter zwischen 17 und 29 Jahren bedrängen in einem Bad in Weiden vier Mädchen im Alter zwischen 10 und 13 Jahren und berühren sie mehrfach im Intimbereich; der Bademeister verständigt die Polizei. Bereits Tage zuvor wird der Polizei der Fall eines 17-jährigen Afghanen mitgeteilt, der im gleichen Bad eine 19-Jährige heimlich beim Umziehen beobachtet hat.

Im Laufe des Tages steigt eine unbändige Wut in mir auf, die dann irgendwann im Hinterbewusstsein zu einem Text gerinnt. Wut, nicht auf die Beschuldigten, nicht auf die Nachricht, nicht auf deren Überbringer. Wut, in der Hauptsache auf mich selbst. Über die Denkverbote, über die Fühlverbote in mir. Und letztlich dann Wut über die Erkenntnis, dass es nicht meine Denk-, nicht meine Fühlverbote sind, dass sie nichts Autochthones sind, sondern dass ich sie von außen erworben habe, Fremdintrojekte, eingepflanzt durch Parolen, durch Gemeinplätze, durch die neuesten Sprach-, Denk- und Fühlregelungen.

Seien wir ehrlich, die meisten von uns wünschen sich solche Meldungen weg, wollen sie nicht als Teil der Wirklichkeit haben, wollen sie nicht akzeptieren. Wollen nicht das Öl im Feuer, wollen nicht den Schatten, wollen nicht das, was Sir Terry Pratchett die dunkle Seite der Sonne nannte.
Seien wir auch ehrlich, und mit Bezug zur konkreten Meldung – hätte ein deutscher Jugendlicher im Schwimmbad Frauen beim Umziehen beobachtet, wäre dieser Vorfall nie bis zur Polizei gelangt. Vielleicht, nur vielleicht, hätte er in dem Bad Hausverbot bekommen. Vielleicht, nur vielleicht, hätten ihm die Eltern eine Gardinenpredigt gehalten. Wahrscheinlich, höchstwahrscheinlich aber wäre der Vorfall heruntergespielt, wäre er gerechtfertigt worden, hätte man Sätze gehört wie „Jungs sind halt so, haben wir früher ja auch gemacht“, „Es ist ja niemand zu Schaden gekommen“ und „Die sollen sich nicht so anstellen.“ Nur ein kleiner Schritt zu „Die sind ja selber schuld.“

Behalten wir diesen Gedanken im Kopf, er wird uns wieder begegnen.

Einen Tag später. Brüssel brennt, und unter die Anteilnahme mischt sich die Häme der Unappetitlichen. Und schon ist alles wieder gut. Weil wir alle schon wieder jemanden haben, auf den wir zeigen können. Die Rechten zeigen auf Migranten, Muslime und die bürgerliche Gesellschaft (Die sind ja selber schuld!), wir Gutmenschen zeigen auf die Rechten, auf ihre Anhängsel und Mitläufer (Die sollen sich nicht so anstellen!), und ich, ich Übergutmensch, ich zeige auf alle beide, ich habe ja zwei Hände, und die Kreuzespose passt ja auch gut in die Jahreszeit, so kann ich mich gleich in einer doppelten Opferrolle aufstellen. Und wie alle anderen vergesse ich das, im Übrigen arabische, Sprichwort, wonach wer mit dem Finger auf andere zeigt, mit drei Fingern auf sich selbst zurückdeutet. (Prompt fällt es mir wieder ein und schnell spreize ich alle Finger ab und nehme noch die Nasenspitze mit hinzu, jetzt kann ich elf verschiedene Feindbilder gleichzeitig ausmachen, man muss sich nur zu helfen wissen.)

Meine Wut hat sich mittlerweile etwas gelegt und ist einem profunden Hintergrundärger gewichen. Denn Öl kann man, wenn wir schon am Metaphernschleudern sind, nicht nur ins Feuer gießen, man kann damit auch Wogen glätten. Dennoch, es bleibt Ärger. Ärger auch darüber, dass ich wegen dieses Textes von Menschen, die mich gut und lange kennen, und die es nicht nur besser wissen könnten, sondern die es definitiv besser wissen, in eine rechte Ecke gestellt werde. Auch bin ich ge- oder vielmehr entnervt von den geradezu zwanghaften Diskussionen über diesen Text. Überhaupt scheint mir die Suche nach dem Haar in der Suppe ein recht deutscher Volkssport zu sein, und hat man es dann gefunden, stürzt man sich ohne zu zögern in die dampfende Brühe und klammert sich an es wie ein Ertrinkender, der auch sonst nichts mehr hat, an die vermeintlich rettende Planke. Und überhaupt ist das Haar ja gut vertreten im deutschen Sprichwortschatz. Man kann an ihm so manches herbeiziehen, und vor allem kann man es spalten. Viel leichter als ein Atom und noch wesentlich leichter als eine vorgefasste Meinung. Es gibt einem immer etwas, womit man sich beschäftigen kann, wenn der dazugehörige Kopf nicht viel hergibt, und es ist auch ein so schönes Analogon, ist es doch genau so eindimensional wie so manche vorgefasste Meinung, genau so eindimensional wie dumpfes Links-Rechts-Denken.
Denn manchmal ist jemand, der einen Satz mit „Ich bin nicht rechts, aber...“ beginnt – tatsächlich nicht rechts. Vielleicht ist er einfach nur desinformiert, desinteressiert, zugegeben manchmal einfach nur dumm, oder einfach anderer Meinung.
Links oder rechts, das hat nichts mit den Thesen zu tun, die wir nachplappern, nicht mit der Sprache, die wir dabei benutzen, und nichts mit den Themen, die wir mit ihr diskutieren. Meiner Auffassung nach hat diese Einordnung, wenn sie überhaupt sinnvoll sein soll, etwas mit dem Menschenbild zu tun.

Die Idee von der prinzipiellen Ungleichwertigkeit der Menschen ist Anfang und Ende dessen, was wir „Rechts“ nennen. Dasjenige selber zu praktizieren, was wir bei anderen kritisieren, ist Teil davon (und hier erinnere ich an den 17-jährigen Afghanen in Relation zum 17-jährigen Oberpfälzer), und dieser protofaschistische Anteil ruht in jedem von uns, in jedem einzelnen.
Ich scheue mich hier, den Begriff „Individuum“ zu benutzen. „Individuum“ heißt wörtlich übersetzt „das Unteilbare“ und kein Einzelner von uns, der nicht innerlich gespalten wäre. Man muss nicht pathologisch schizophren sein, um mehrere Persönlichkeitsanteile in sich zu tragen. Dies zu leugnen allerdings, dazu braucht es ein gewisses Maß an Wahnsinn. Viel Saat liegt in jedem von uns, auch die des Autoritären, auch die des Faschisten. Es kommt darauf an, welche wir keimen lassen.

Das Schweigen der im Wortsinne Gutmenschen, der Menschen, die aufrichtig und mit den edelsten Absichten nur Gutes bewirken wollen, hat viel Raum gelassen für die faulige Propaganda, auf deren Boden die rechten Rattenfänger mit nicht zu übersehendem Erfolg ihre Gewächse des Bösen kultivieren konnten.

Und noch einmal stürmt, noch einmal lodert meine Wut. Und damit statt meiner nicht die Steine schreien, sage ich es.
Unser Problem sind nicht AfD und Pegida, nicht der Flüchtlingsstrom, nicht Syrer, nicht Afghanen, nicht der Daesh und nicht der Islam. Unser Problem sind nicht Propaganda und Lügenpresse, nicht Merkel, nicht Putin, nicht Assad, es heißt nicht Frontex, nicht Grenzzaun, es geht nicht um Waffen, um Kapitalismus oder um irgendwelche Armlängen.

Unser Problem ist, dass die Anständigen sich lieber über Kleinigkeiten gegenseitig fertigmachen und es damit den Unanständigen ermöglichen, mit ihrer Scheiße unser Land zu vergiften.

 

 


 

[Zurück zum Index]