Das Regensburger ue-Theater lud am 15. Mai zur Premiere seines Projektes "Anarchie in Bayern", aufgebaut um das gleichnamige Stück von Rainer Werner Fassbinder von 1969. Dabei konnte die kleine Truppe von Anfang an begeistern, nicht nur durch die Motivation, mit der die Schauspieler offensichtlich ans Werk gingen, auch die gelungene technische Umsetzung des Bühnenbildes leistete ihren Beitrag zum guten Gesamteindruck.
"Daß äußerliche Veränderungen nicht ausreichen, um im abendländischen, auf Unterdrückung und Autorität fixierten Bewußtsein etwas Wesentliches zu bewirken", so stand es bei der Uraufführung vor 44 Jahren im Programmheft. Oder, etwas einfacher gesagt, läßt sich Freiheit befehlen?
Dennoch, Fassbinders Stück, ebenso wie seine Umsetzung durch das ue-Theater, ist keine Gutmenschen-Lehrstunde, die uns mit erhobenem Zeigefinger eintrichtert, wie schön es denn sein könnte, wenn nur alle vernünftig wären. Es entlarvt den Mythos der "Anarchie von oben" als Widerspruch in sich und konfrontiert das Publikum mit einer unbequemen Wahrheit, nämlich daß Freiheit etwas ist, womit man erst einmal umgehen können muß. Eine in Reih und Glied angetretene Familie Normalzeit, auf der verzweifelten Suche nach jemandem, der ihr die Angst vor der Freiheit nehmen kann, ist Parabel hierfür; Vater Normalzeit, kongenial dargestellt von Thomas Jahnke, in steter Sorge um Auto, Fernseher und Familie – in etwa dieser Reihenfolge – weiß dann auch mir der neuen Freiheit nichts besseres anzufangen, als sie als Rechtfertigung für einen Mord heranzuziehen. Der Lacher, den er mit seinem verzweifelten Ausruf "Warum ag'rat mei Auto?" noch hervorruft, bleibt einem im Halse stecken, wenn man später im Schattenriss mitansieht, wie er einen ihm völlig Unbekannten zu Tode prügelt. Daran krankt in Fassbinders Stück die Anarchie, und daran scheitert sie, denn wie es in dem Lied von der Freiheit heißt, "der Mensch ist leider nicht naiv, der Mensch ist leider primitiv...."
Aber das ue-Theater läßt sein Publikum mit diesen verstörenden Szenen nicht allein. Nach einer kurzen Pause, und eingebettet in die sympathische Moderation von Regisseur und Theatergründer Kurt Raster, folgt auf Fassbinders Dystopie ein Film über ein gelungenes Projekt einer basisdemokratisch selbstverwalteten Initiative, nämlich der landwirtschaftlichen Kooperative "Cecosesola" in Venezuela. Dort arbeitet man von der Basis her, und auch wenn das dennoch nicht zur Entstehung eines anarchistischen Wunderlandes geführt hat, der Erfolg gibt den Lateinamerikanern recht. Immer wieder fällt in den Diskussionen ein Kernbegriff libertärer Organisationsstruktur – der Konsens. Und das leitete dann auch zum dritten Teil des Abends über, zu den Konsensübungen. Das Stimmungsbarometer als Meinungsbild(ung) zum Mitmachen, das Fischbecken als Variante der klassischen Diskussion, vorgestellt an der im Stück aufgeworfenen Frage, ob die Ehe abgeschafft werden soll oder nicht, irgendwo zwischen Werkzeug und Spielzeug.
Trotz der Begeisterung, mit der das Ensemble und auch die knapp 100 Premierenbesucher bei der Sache waren ist Regensburg dann doch nicht zur Keimzelle der Anarchie in Bayern geworden. Aber die Leute vom ue-Theater haben ihrem Publikum etwas zu denken, und damit hoffentlich auch ein Stück mehr ganz persönliche Freiheit mit auf den Weg nach Hause gegeben.
Ludwig Rimböck & Stefanie Heindl
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