vorgesehen für : Donaustrudl
Nr. 170, Juni 2013
nicht veröffentlicht
Stress, laut Lexikondefinition Englisch für "Druck, Anspannung", vom Lateinischen "stringere", "anspannen". Der heute überwiegend negativ besetzte Begriff wurde in den Dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus der Physik entlehnt und sollte zunächst "unspezifische Reaktion des Körpers auf jegliche Anforderung" beschreiben. In der physikalischen Werkstoffkunde, so fährt das Lexikon fort, bezeichne der Begriff "die Veränderung eines Materials durch äußere Krafteinwirkung: Es folgen Anspannung, Verzerrung und Verbiegung." In landläufig plakativer Auslegung wird Stress gerne als Todesursache Nummer Eins in den Industrienationen kolportiert, unbestritten ist er ein nicht zu unterschätzender Krankheitsauslöser.
Für den Donaustrudl sprach ich zu diesem Thema mit Prof. Dr. med. Rainer Rupprecht (51), ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg.
Stress ist eine körperliche und seelische Reaktion auf Umwelteinflüsse und ein entwicklungsgeschichtlich notwendiger, ja sogar überlebensnotwendiger Mechanismus des Menschen, um auf fordernde oder potentiell bedrohliche Situationen in seiner Umgebung reagieren zu können. Entsprechend, so Prof. Rupprecht, sei auch zu unterscheiden zwischen Eu-Stress (wörtlich aus dem Griechischen: "guter Stress"), wie man ihn in positiven Situationen, z.B. auch bei sportlicher Betätigung empfindet, und dem belastenden Dys-Stress, der, wo er zu häufig und zu intensiv auftritt, Krankheit verursacht.
In die Bandbreite der physiologischen Reaktionen auf andauernd erhöhte Stressbelastung fallen dabei die bekannten Folgen wie Bluthochdruck und Herzprobleme, aber auch Arteriosklerose und Diabetes.
Ebenso bekannt, aber im Alltag oft unterschätzt bis verharmlost sind die psychischen Folgen von Dysstress, die vor allem auch im Zuge der so genannten Burnout-Diskussion ins Gespräch gekommen sind. Burnout, so Prof. Rupprecht, sei kein eigenständiges Krankheitsbild, eher eine Kombination von Faktoren, in deren Zentrum die stressbedingte Depression steht. Die ist dabei nicht zu unterschätzen und auch nicht zu verharmlosen. Anreden, die Patienten immer wieder zu hören kriegen, wie man soll sich nicht so anstellen und sich einfach zusammenreißen, gehen an der – von den Betroffenen als sehr schwer erlebten – Realität vorbei. Welche schwerwiegenden Folgen eine nicht oder nur unzureichend behandelte Depression in Verbindung mit anhaltendem Stress nach sich ziehen kann zeigten gerade in letzter Zeit immer wieder prominente Beispiele – der Name Robert Enke sei stellvertretend genannt – die bei allem Zynismus der Situation auch sehr viel zur gesellschaftlichen Akzeptanz des Krankheitsbildes beigetragen haben.
Diese prominenten Beispiele machen auch klar, was Prof. Rupprecht mir aus seiner praktischen Erfahrung bestätigt, nämlich dass sich Stress und seine Folgen, ins besondere die Depression, durch alle sozialen Schichten ziehen. Es gilt allerdings trotzdem, dass prekäre Lebensumstände bereits für sich genommen einen enormen Stressfaktor darstellen. Den typischen Stresspatienten gebe es zwar nicht, wie und in welchem Maße sich auch die stressbedingte Depression beim Einzelnen zeigen hänge immer auch von der persönlichen Konstitution und Belastungsfähigkeit des Patienten ab. Ein ungünstiges Lebensumfeld, auch die permanente Sorge um die materielle und soziale Absicherung, stellen jedoch unbestreitbare Negativfaktoren dar.
Unbestreitbar seien auch die volkswirtschaftlichen Schäden, die Stress und Depression nach sich ziehen. "Depression ist teuer", meint mein Interviewpartner, aber auch, dass sich Investition in die Behandlung lohne. Denn Depressionen seien sehr gut behandelbar. Sei es durch medikamentöse Therapie, aber auch durch psychotherapeutische Ansätze, die die kognitive Verarbeitung von Depression oder Angst ermöglichen, wie auch der Analyse der Lebenssituation und der Soziotherapie, die sich um die sozialen Fertigkeiten der Betroffenen kümmert. Ein "multiprofessionelles Team" aus Psychologen und Sozialarbeitern nimmt sich hier der Patienten an und bietet Hilfe an. Daher rät Prof. Rupprecht auch jedem Betroffenen, Hilfe zu suchen und anzunehmen. Psychische Probleme sind kein Charakterfehler, sondern ernst zu nehmende Krankheiten, die auch behandelt werden können.
Und hier setzt auch der Wunsch an, nach dem ich Prof. Rupprecht zum Ende unseres Gespräches noch gefragt habe. Er wünsche sich, dass die Therapeuten mehr Zeit für die Patienten zur Verfügung hätten, und letztlich wünsche er sich mehr Personal, um dies auch umsetzen zu können. Denn die Versorgung in Regensburg sei gut, aber es stünde trotzdem immer weniger Zeit für immer mehr Patienten zur Verfügung. Und das ist es, was Stresspatienten brauchen. Zeit für die Therapie, und Zeit für sich.