erschienen in : Donaustrudl Freiheit
Nr. 183, Juni 2014

 

Eine Ahnung von Freiheit

Lange habe ich überlegt, ob ich mich zur „Freiheit“ überhaupt äußern soll. Denn ehrlich gesagt graust es mir vor dem Thema.

Nicht vor der Freiheit als solcher. Dazu habe ich genügend zu sagen. Aber bei dem, was manche Zeitgenossen in den Begriff der Freiheit hineinvergewaltigen, davon wird mir übel. Nach Jahren des Geschichtsstudiums, und nach 25 Jahren politisch-gesellschaftlicher Aktivität weiß ich, dass es viel zu oft die Autoritären, die in ihren Ansichten Festgefahrenen, die blockheads sind, die mit dem Freiheitsbegriff umgehen wie mit Bomben und Granaten. Da werden nicht nur politische Gegner, sondern auch persönliche Feinde schnell mal als Feinde der Freiheit deklariert, weil es sich mit dem Begriff ja allzu leicht Propaganda machen lässt. Und wenn mache Leute von „Feinden der Freiheit“ sprechen, sehe ich im Gedanken die Druckmaschinen schon die Fahndungsplakate ausspeien: alle Langhaarigen, alle Farbigen, alle Linken, alle Bullen, alle Andersgläubigen, alle anderen … Für die meisten ist Freiheit nur so lange die Freiheit des Andersdenkenden, solange sie selbst diese Andersdenkenden sind. Und ja, da spricht sehr viel Frustration aus mir, und sehr viel Skepsis all jenen gegenüber, die das Wort Freiheit gerne und leichtfertig im Munde führen.

Und dann war es doch das Reden über Freiheit, genauer gesagt zwei Zitate, die mich doch noch an einen Artikel zum Thema herangeführt haben. Wenn Rosa Luxemburg und Aleister Crowley zum Thema Freiheit zitiert werden, fallen sie beide gerne dem selben Schicksal anheim, nämlich dass sie meist sinnentstellend unvollständig zitiert werden.

Luxemburgs bekanntes Zitat lautet in seiner Langform: „Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei - mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der 'Gerechtigkeit', sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die 'Freiheit' zum Privilegium wird.“ Und schon hört es sich ein wenig anders an. Rosa Luxemburg spricht keinen Programmsatz aus, im Sinne von „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden, und so ist das ab jetzt.“; sie legt vielmehr den Finger in eine Wunde, unter der schon damals, vor nun gut 100 Jahren, zahlreiche ihrer Genossen gelitten haben, nämlich sich aus einem gewissen Sendungsbewusstsein heraus Freiheiten anzueignen, die man anderen gleichzeitig vorenthält. Gezielt benennt sie elitäre Minderheiten, Regierungen, Parteien, weltanschauliche Gruppen mithin, die in ihrem Elitarismus andere, als inferior erachtete Gruppen als für eine über ein gewisses Maß hinausgehende Freiheit als unwürdig erachten. Sie warnt vor einer sich selbst mit Privilegien ausstattenden Avantgarde, eine im Kern faschistische Organisationsstruktur, und wir wissen heute, dass ihre Warnung leider gerade auch unter ihren Genossen wirkungslos verhallt ist.

Von Aleister Crowley, dem bekannten britischen Okkultisten und Zeitgenossen Rosa Luxemburgs, kennen und zitieren viele Menschen nur den Satz: „Tu was du willst, soll sein das Ganze des Gesetzes.“ Von den meisten schon wieder unbeachtet folgt einige Zeilen später: „Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen.“ Crowleys „Tu was du willst“ erscheint manchem Kleingeist als Inbegriff einer unbeschränkten Freiheit. Für den, der mitdenkt ist der Zusatz „Liebe unter Willen“ wesentlich interessanter. Besagt beides zusammen doch, dass um frei zu sein man erst einmal wissen muss, was man will und was man nicht will. Was sich zuerst anhört wie eine Binsenweisheit, entpuppt sich bei erneutem Durchdenken als das Problem nicht nur der meisten Individuen, sondern auch so mancher sozialer Konstellation. Und eigentlich könnte ich an dieser Stelle meine Ausführungen unterbrechen, da selbstverständlich jeder davon überzeugt ist, genau zu wissen, was er selbst will, und alle anderen wissen es nicht. Dass dies rein logisch nicht der Fall sein kann, wird wegignoriert. Aber das ist auch gar nicht der Kern dessen, worauf ich hinaus will. Crowleys Aussagen implizieren, zugegeben in meiner Lesart, dass um Freiheit erlangen zu können beim Individuum erst einmal eine gewisse geistig-moralische Reife notwendig ist. Sehr viele, und darunter erschreckend viele „Linke“, also mithin vom Prinzip her egalitär veranlagte Menschen, teilen auf eine dumpf-unbewusste Art genau diese Ansicht, natürlich immer mit dem Zusatz, dass man selbst diese geistig-moralische Reife erreicht hat, wogegen man sie allen anderen geflissentlich abspricht.

Hier zeichnet sich der Kreis ab, vor dem Luxemburg gewarnt hat und in dem sich zu drehen ich jetzt wirklich lieber anderen überlasse.

In Betrachtung jener beiden sich diametral gegenüberstehenden Aussagen kann ich nicht umhin, festzustellen, dass, auch nach 25 Jahren der Frustration, ich mich immer noch dem verbunden fühle, was Rosa Luxemburg gesagt hat und wofür sie steht – aber andererseits eine unverhohlene Tendenz zum Standpunkt Aleister Crowleys erkenne und von einem Gegenüber einen gewissen Grad an Reife einfordere, bevor ich anfange, mit ihm über bestimmte Themen, zum Beispiel Freiheit, zu debattieren. Nur eines will ich, ganz im Sinne meiner beiden Zitierten, nicht, ich will nicht außenwirksam entscheiden, wem ein gewisser Reifegrad zuzubilligen ist und wem nicht. Diese Entscheidung, mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen, treffe ich für mich alleine, auch mit dem Vorbehalt, mich dabei zu irren. Denn wer weiß, vielleicht bin es ja ich, der in seinem Verständnis von Freiheit noch einiges an Selbstarbeit vor sich hat. Und das ist auch ein letztes Stichwort für diesen Text. Mein Sendungsbewusstsein hält sich in Grenzen, ich will die Welt nicht mehr verändern. Lieber verändere ich mich selbst, was manchmal schwer genug ist. Das gründet auch in der Erkenntnis einer logischen Unmöglichkeit. Man kann Freiheit nicht befehlen, und auch so etwas wie eine „Erziehung zur Freiheit“ ist weder bei Kindern noch bei Erwachsenen möglich.

In meiner Jugend hatten wir einen schönen Spruch: Kämpfen für den Frieden ist wie ficken für die Jungfräulichkeit. Ich will eine Trias daraus machen und sagen, kämpfen für den Frieden und ficken für die Jungfräulichkeit, das ist wie jemandem die Freiheit bringen wollen. Freiheit muss man sich aus dem Inneren erarbeiten und nach außen gewähren. Darin ist es dann vielleicht möglich, eine Ahnung davon zu bekommen, was Freiheit sein könnte.

 

 


 

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