Es bleibt traurig genug – ein Donaustrudl-Heft mit dem Thema "Sexualität" kommt nicht aus ohne das Thema sexueller Gewalt. Traurig ist es auch für den Journalisten, wenn er sich zum wiederholten Mal mit einem Thema befassen muss, das scheinbar nicht auszurotten ist. Und so treffe ich mich auch dieses Mal im Regensburger Polizeipräsidium mit einer mir schon vertrauten Gesprächspartnerin, Kriminalhauptkommissarin Barbara Arendt von der Stelle der "Beauftragten der Polizei für Frauen und Kinder".
Ich erfahre, daß es den weithin verbreiteten begriff der sexuellen Belästigung als Vorform der sexuellen Gewalt im strafrechtlichen Sinne so nicht gibt. das ändert nichts daran, dass solche Handlungen nicht strafbar wären. So können beispielsweise sexuell konnotierte Beleidigungen, wie sie zum Beispiel beim Mobbing oft vorkommen, sehr wohl verfolgt werden. Hierbei handelt es sich allerdings um so genannte Antragsdelikte, die also nur auf ausdrücklichen Antrag der oder des Geschädigten verfolgt werden. Anders sieht es beim expliziten sexuellen Missbrauch aus. Hier wird nach dem Bekanntwerden in jedem Fall ermittelt. Aber genau darin liegt auch das Problem, im Bekanntwerden. Sexuelle Gewalt findet größtenteils im Verborgenen statt. Fälle wie der des Serienvergewaltigers, der Regensburg vor nicht allzu langer Zeit monatelang in Atem gehalten hat, mögen spektakulär sein und sind es letztlich auch deshalb, weil sie ein gefundenes Fressen für die Medien darstellen, verschwiegen wird dabei oft, dass solche Täter die Ausnahme sind. In rund 80% der Fälle besteht zwischen Täter und Opfer eine Vorbeziehung, meist handelt es sich um Personen aus dem unmittelbaren sozialen Nahraum, Freunde, Bekannte, Lebenspartner, Verwandte. Tatsächlich ist es für eine Frau wahrscheinlicher, von jemandem aus dem persönlichen Umfeld angegangen zu werden als von einem Fremden. Entsprechend stimmt auch die oft vorgebrachte Stammtischparole nicht, wonach Frauen, beispielsweise durch freizügige Kleidung oder entsprechendes Verhalten, sexuelle Übergriffe provozieren würden. Die Opfer stammen aus allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten, prinzipiell ist jede Frau gefährdet.
Nichtsdestotrotz, die Hemmschwelle für eine Anzeige bleibt hoch. Wenn also, wie auch im vergangenen Jahr wieder, die Fallzahlen in den Statistiken ansteigen, heißt das unter anderem auch, dass sich mehr Frauen entschlossen haben, das Schweigen zu brechen. Es kann allerdings ebenso heißen, dass tatsächlich die entsprechenden Vorfälle gestiegen sind. So oder so wird die Anzeige letztlich der richtige Weg bleiben.
Allerdings gibt es auch das genau entgegengesetzte Phänomen. Fälle nämlich, in denen ein Akt sexueller Gewalt zur Anzeige gebracht wird, der sich im Lauf der Ermittlungen als frei erfunden erweist. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sie beginnen bei beinahe nichtigen Anlässen wie Teenagern, die als Ausrede für zu spätes Heimkommen einen Übergriff erfinden, über Rachegedanken gegenüber dem (Ex)Partner, Verschleierung eines Seitensprungs bis zu finanziellen Hintergedanken. Für den Beschuldigten ist dies nicht nur wegen der polizeilichen Maßnahmen, denen er unterzogen wird, unangenehm. Auch wenn er hinterher rehabilitiert wird, bleibt doch immer irgendetwas hängen, das Verhältnis zur Familie, den Arbeitskollegen und dem weiteren sozialen Umfeld, z.b. gerade in kleinen Dorfgemeinschaften, ist gestört bis nachhaltig zerstört. Aber auch für die Anzeigeerstatterin ergeben sich Folgen. Zum einen ist die Vortäuschung einer Straftat selbst strafbar, zum anderen muss sie auch für die anfallenden Kosten aufkommen.
Im Übrigen, wenn ich durchgehend die weibliche Form benutze, spiegelt das zwar die Statistik wider, aber natürlich werden auch Männer Opfer sexueller Gewalt. Und das nicht nur im Zusammenhang mit Pädophilie, auch männliche Erwachsene zählen zu Opfern wie auch Tätern, darunter überwiegend Homosexuelle. Ebenso gibt es auch eine Minderheit an Täterinnen; Frauen, die teils aktiv, teils durch Beihilfe, z.B. durch Festhalten des Opfers, an Missbrauchshandlungen teilnehmen.
Und trotz aller Hemmschwellen, Vortäuschungen und Vorurteilen bleibt es dabei, jede "Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung", wie es offiziell heißt, sollte auch zur Anzeige gebracht werden. Jede nicht angezeigte Straftat schützt den Täter, so lautete schon die Kernaussage eines meiner früheren Gespräche mit Frau Arendt. Polizeibeamte unterliegen dabei dem Strafverfolgungszwang, das heißt, sie können die Aufnahme einer entsprechenden Anzeige nicht verweigern. Für die Opfer beginnt damit ein Vorgang, der durchaus noch einmal als belastend erlebt werden kann, angefangen von Vernehmungen, Beweissicherung bis hin zu einem möglichen Gerichtsverfahren, in dem der gesamte Vorfall noch einmal aufgerollt wird. Aber diesen Weg muss niemand alleine gehen. Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen wie der Frauennotruf, die Organisation "Weißer Ring" oder eben die Beauftragte für Frauen und Kinder leisten Beratung und Hilfe.
Viele Opfer schweigen auch aus Angst vor möglichen Racheakten. Und auch wenn sich dies in der Praxis als eher unbegründet erwiesen hat, gibt es auch hier Hilfe. Zwar kann die Polizei keinen Personenschutz leisten. Das "Gewaltschutzgesetz" bietet jedoch die Möglichkeit, gegen einen Tatverdächtigen beispielsweise ein Kontakt- oder Näherungsverbot auszusprechen oder ihn sogar der gemeinsamen Wohnung zu verweisen.
Ziel all dessen - und letztlich auch Ziel dieses Artikels - ist es, sexuelle Gewalt vom Dunkel- ins Hellfeld zu holen, den Täterinnen und Tätern die Konsequenzen nicht nur aufzuzeigen, sondern sie ihnen auch angedeihen zu lassen und damit letztlich solche Gewalttaten, wenn es schon nicht möglich sein mag, sie auszurotten, mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln auch weiterhin zu bekämpfen.