Foto: Frank Hübler |
Beinahe sieht es aus wie ein normales Büro. Wären da nicht die Gitter vor dem Fenster, die mich daran erinnern, dass ich mich in der Ambulanz der Forensik am Bezirksklinikum befinde. Hier treffe ich mich mit Dr. Kirsten Lange, Leitende Oberärztin der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie und Leiterin der Ambulanz.
Forensische Psychiatrie, das heißt Unterbringung von Straftätern, die entweder psychisch krank (§63 StGB) oder suchtkrank (§64 StGB) sind – oft auch beides. Soweit die rechtlichen Grundlagen, deren Beurteilung ich hier getrost anderen überlasse, denn mich interessiert die Endphase der Unterbringung und der Übergang in ein Leben in Freiheit.
Gerade für die „Dreiundsechziger“ bedeutet eine entsprechende Unterbringung eine massive Einschränkung ihrer
persönlichen Freiheit. Auch deshalb, weil eine solche Unterbringung vom Prinzip erst einmal zeitlich unbegrenzt
ist und sich der Zeitplan für eine Entlassung nach der jeweiligen Legalprognose richtet. Wichtig für die Patienten
sind dabei die so genannten Lockerungsstufen, gemäß derer sich entsprechende Erleichterungen gerade im Hinblick auf
den Ausgang ergeben. Von Stufe A, dem Ausgang mit Personal, Stufe B, dem alleinigen Ausgang auf dem Klinikgelände,
Stufe C, einer Beurlaubung von bis zu 12 Stunden, zu Stufe D, einer Beurlaubung mit selbständigen Übernachtungen
außerhalb der Klinik.
Stufe D stellt den Übergang in die so gennante bedingte Entlassung dar. Sie wird meist auf der an die Ambulanz
angegliederten Resozialisierungsstation verbracht und endet – wenn alles gut läuft – in eben der „bedingten“ Entlassung
(„bedingt“ weil an Weisungen gebunden). Anschließend beschäftigt sich die forensisch-psychiatrische Ambulanz mit den
entlassenen Patienten.
Ganz am Anfang steht dabei auch die Arbeitssuche, die schon von der Klinik aus erfolgt. Bereits in der Klinik,
findet, als Vorbereitung auf einen späteren Wiedereinstieg ins Berufsleben, eine Arbeitstherapie statt, und
dieses arbeitstherapeutische Angebot wird von den Patienten auch gerne angenommen, bietet es doch Struktur
und sinnvolle Beschäftigung.
In diesem Zusammenhang kommt auch die EAG zur Sprache, die Externe Arbeitsgruppe. Die Patienten der EAG
verlassen – begleitet von Arbeitstherapeuten - die Klinik und leisten außerhalb Hilfe z.B. bei Umzügen oder
Wohnungsrenovierungen. Und die Qualität ihrer Arbeit zeigt sich auch daran, dass bisher noch alle Kunden
zufrieden und voll des Lobes waren.
Im Übrigen besteht für die Patienten der Forensik in der Klinik auch die Möglichkeit, einen Schulabschluss
nachzuholen bzw. in eine Berufsausbildung vermittelt zu werden.
Sobald die Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis geglückt ist, steht dann die Wohnungssuche an. Hier nehmen die
Mitarbeiter der Resozialisierungsstation auch schon mal die Wohnung in Augenschein und stellen sicher, dass grundlegende Voraussetzungen, wie z.B. ein eigenes Bad oder ein eigener Kühlschrank, erfüllt sind.
Und an dieser Stelle stutze ich und muss nachfragen.
Meinem persönlichen Verständnis nach gehören solche Details zu den Selbstverständlichkeiten einer annehmbaren
Wohnung, und ich muss mich erkundigen, ob ich da möglicherweis einer falschen Wahrnehmung unterliege.
Einerseits, so erhalte ich zur Antwort, wollen Patienten nach einer oft jahrelangen Unterbringung so schnell wie möglich
raus und in Freiheit sein und sind dafür auch bereit, deutlich suboptimale Wohnbedingungen in Kauf zu nehmen.
Andererseits, und da tut der ohnehin angespannte Wohnungsmarkt sein übriges, gibt es natürlich auch Vermieter, die mit genau diesem Wunsch nach „Wohnen um jeden Preis“ Geld verdienen und sich nicht scheuen, eben solche suboptimalen Wohnungsangebote zustande kommen zu lassen.
Vergleichbares gilt für das Thema „Wohnen in sozialen Brennpunkten“; gerade für „Vierundsechziger“ ist es nicht eben hilfreich, in eine einschlägige soziale Umgebung (zurück)zukommen.
Andererseits ist eine Optimallösung nur selten erreichbar, und letztlich muss man, so höre ich, „den anderen auch einfach Mensch sein lassen“ und den Wunsch nach Freiheit und Autonomie respektieren.
Mit einer weiteren Frage komme ich auf die Jugendforensik zu sprechen, die sich als dann einzige derartige Einrichtung
in Bayern, am Bezirksklinikum Regensburg derzeit im Bau befindet. (Eröffnung voraussichtlich Ende 2017) Gerade bei deren
Patienten scheinen mir entsprechende Resozialisierungsmaßnahmen besonders wichtig. Jugendforensik, das heißt ja auch,
Insassen ab 14 Jahren, die somit also auch noch der Schulpflicht unterliegen.
Zwar kann mir Frau Dr. Lange hier nicht viel erzählen, da es auch nicht in ihre Zuständigkeit fällt. Aber
sicherlich wird es, wie auch in der derzeit bestehenden Forensik, auch in der Jugendforensik ein schulisches
Angebot geben. Und 24 Betten wird sie haben, höre ich, eine Zahl, die mir, wohlgemerkt auf den ganzen Freistaat
bezogen, erfreulich niedrig erscheint. Gerade unter dem Aspekt der Eingliederung bzw. des Verbleibs im normalen
sozialen Leben ist eine forensische Unterbringung bei Jugendlichen manchmal die ultima ratio, wenn alle anderen
Mittel ausgeschöpft sind.
Die Notwendigkeit ist vorhanden, denn es gibt psychisch kranke jugendliche Straftäter, die krankheitsbedingt eine
Gefahr für andere darstellen. Oft sind sie zuvor durch alle Netze gefallen, sind schwer millieugeschädigt und
entsprechend therapie- und (re)sozialisierungsbedürftig.
Das ist nun alles schön und gut und hört sich trotz allem sehr positiv an, komme ich nicht umhin zu bemerken. Aber wie
ist es nun wirklich um die Resozialisierung in der Forensik bestellt, im Hinblick auf Therapieerfolg und Rückfälligkeit.
In einer fortlaufenden Katamnesestudie wurden und werden ehemalige Forensikpatienten (gem. § 63) ein Jahr nach der
Entlassung noch einmal bezüglich psychopathologischer Stabilität und Straffälligkeit beurteilt. Sofort ins Auge
fällt dabei der mit über 75% größte Sektor des Diagramms, der mit „stabil und straftatfrei“ für sich spricht.
Weitere rd. 16% blieben straftatfrei bei gesundheitlicher Verschlechterung. Nur eine Minderheit von 8% wurde
wieder straffällig, darunter ein geringer Anteil von Straftaten ohne Bezug zur psychischen Erkrankung.
Komplexer gestaltet sich erwartungsgemäß die Situation bei den „64ern“. Beeindruckende 41% der bedingt Entlassenen und
immerhin noch gut 18% der Therapieabbrecher waren dabei nach einem Jahr vom Suchtmittel abstinent.
Viel hätte es noch zu berichten gegeben, was den Rahmen des Textes allerdings gesprengt hätte. Nach gut eineinhalb Stunden verlasse ich die forensisch-psychiatrische Ambulanz, beinahe in Vergessenheit der Gitter vor den Fenstern, und mit einem Stück mehr Zuversicht in die Wirksamkeit resozialisierender Maßnahmen.