Erschienen in : Donaustrudl Verlorene Kindheitsträume
Nr. 139, November 2010

 

Das immerwährende Martyrium — eine Nachrede zu Gerlinde Muñoz

Es wird nie wieder so sein wie vorher. Selbst wenn das traumatische Erlebnis von Misshandlung und Missbrauch schon lange vergangen ist, leiden die Betroffenen ein Leben lang unter den psychischen Folgeschäden. Angst, Depressionen, Bindungsunfähigkeit, Bulimie, Selbstverletzung bis hin zum versuchten und vollendeten Suizid sind ein Teil des Spektrums dessen, womit die Täter ihren Opfern auch noch nach Jahrzehnten das Leben zur Qual machen. So furchtbar schon die konkrete Missbrauchshandlung ist, ist sie erst der Anfang eines oft kaum zu ertragenden Weges, der letztlich doch nie wieder so etwas wie ein normales Leben zulässt. Wer als Kind Opfer von Missbrauch oder Misshandlung geworden ist hat es nie "hinter sich", wodurch diese Taten zu den perfidesten Verbrechen überhaupt gezählt werden müssen.

Ich will nicht weiter aus der Betroffenenperspektive schreiben, denn das kann ich nicht, und würde ich es versuchen, so wäre dies gelinde gesagt Anmaßung. Aber auch als Angehörige tragen wir unsere Last mit, und je näher uns unsere Freunde und Bekannten stehen, um so mehr werden wir Mitleidende und auch Mitgestaltende in dem immerwährenden Martyrium der Menschen, die auf ihrem Weg zu begleiten wir uns entschlossen haben.

Aber wir sind nicht nur Wegbegleiter, denn da wir nicht nur für das verantwortlich sind, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun, tragen auch wir Verantwortung und sind im Idealfall auch bereit, dies anzuerkennen. Verantwortung sicher nicht für das, was in der Vergangenheit geschehen ist, wohl aber dafür, wie wir unsere Gegenwart und Zukunft gestalten. Ich selbst habe vor einigen Jahren, als ein mir sehr nahestehender Mensch Opfer eines sexuellen Übergriffes geworden ist, meine Kontakte zur Kriminalpolizei genutzt, um diesen Übergriff zur Strafverfolgung zu bringen. Und trotz all dem Lob, das mir dafür zuteil geworden ist weigere ich mich dennoch, mein Tun als etwas Außergewöhnliches zu betrachten, denn dies würde im Umkehrschluß heißen, das Wegsehen als Normalität anzuerkennen, und das kann nicht Sinn der Sache sein. So sehr der sexuelle Missbrauch und die körperliche Misshandlung sowohl Erwachsener, gerade aber auch an Kindern, mittlerweile der gesellschaftlichen Ächtung anheim gefallen sind, so geht diese Ächtung dennoch immer noch nicht weit genug. Wie könnte es sonst sein, daß ein namentlich nicht genannter Bewohner des Ortes Ettal im Radiointerview des Bayerischen Rundfunks offen zugegeben hat, daß eigentlich das ganze Dorf von den Misshandlungen in der dortigen Klosterschule gewußt hatte, daß nur niemand etwas gesagt hat. Ein ganzes Dorf, das von den Gewaltexzessen der Patres wußte und das trotzdem geschwiegen hat – eine Geschichte, die in unserer Zeit keinen Platz mehr haben dürfte.

Wir können Vergangenes nicht rückgängig machen. Aber wir können für die Opfer der Vergangenheit Genugtuung einfordern, wir können die Opfer der Gegenwart ihrem Leidensweg entziehen und wir können vor allem auch potentielle zukünftige Opfer wirksam schützen, indem wir die Täter sowohl der Vergangenheit wie der Gegenwart ohne Toleranz einer wirksamen Strafverfolgung zuführen. In jeder Polizeidienststelle finden sich Beamte, die speziell für den Umgang mit häuslicher Gewalt ausgebildet sind und die auch die kompetenten und vor allem handlungsfähigen Ansprechpartner in Fällen von Misshandlung und Missbrauch sind. Im Bereich des Polizeipräsidiums Regensburg kann man sich auch an die Beauftragten der Polizei für Frauen und Kinder, KHKinnen Marianne Kargl und Barbara Arendt wenden, erreichbar unter der Rufnummer 09 41 / 506 1333. Schon allein mit Rücksicht auf ihre Leidensgenossinnen und Leidensgenossen sollten Opfer nicht zögern, von diesen Hilfsangeboten Gebrauch zu machen, in konkreten Notfallsituationen auch von der Notrufnummer der Polizei 110.

Ludwig Rimböck (erreichbar über info@donaustrudl.de)

 

 


 

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