Der Text von Konrad Remold wird hier als Referenz wörtlich und unkommentiert wiedergegeben.
Erschienen in : Donaustrudl Gute Arbeit, schlechte Jobs
Nr. 144, April 2011
Von Konrad Remold
Der Artikel zum Tod von Tennessee Eisenberg in der Märzausgabe kann nicht unwidersprochen bleiben. Das gebietet sowohl der Respekt vor seiner dadurch ins Unglück gestürzten Familie als auch vor dem jäh aus seinem Leben gerissenen, bis dahin völlig unauffälligen Regensburger.
Eigentlich sollte es ein sorgfältig recherchierender Autor unterlassen, aus dritter Hand gewonnenen Darstellungen des Tathergangs (Pressemitteilung Staatsanwaltschaft Regensburg unter justiz.bayern.de/sta/sta/r) zum Ablauf der Ereignisse unverändert in seinem Beitrag zu übernehmen, ohne ihren Wahrheitsgehalt überprüft zu haben oder überprüfen zu können.
Obwohl es zwei Jahre nach dem Tod des Musikstudenten schwer sein dürfte, die tatsächlichen Umstände aufzuklären, sprechen die sich widersprechenden Zeugenaussagen der beteiligten Polizeibeamten und Gutachterversionen (Bayerisches Landeskriminalamt/Institut für Rechtsmedizin Universitätsklinikum Münster) gegen eine vorschnelle Festlegung. Da Ermittlungen gegen Polizeibeamte in der Regel von Polizeibeamten unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft geführt werden, kann die Beweisaufnahme nicht unabhängig und frei von Interessenkonflikten sein (Quelle: Ermittlungsperson der StA § 52 Abs. 1 GVG/§§ 161-163 StPO, im Gegensatz zu Richtern sind Staatsanwälte weisungsgebunden §§ 144-146 GVG).
Nach der öffentlichen Kritik hat das bayerische Innenministerium die beiden Polizeihauptmeister einfach vom Streifendienst in den Innendienst versetzt und die Staatsanwaltschaft Regensburg die Ermittlungen der Polizei gegen die Polizeibeamten mit der Begründung "Nothilfe/Notwehr" eingestellt (StA Regensburg, Pressemitteilung 8/09, 21.12.2009).
Obwohl in Deutschland, verglichen mit den USA, der Schusswaffengebrauch der Polizei relativ selten ist, beträgt der Anteil der unzulässigen Schüsse auf Personen 20,3 Prozent (Quelle: C. Lorei, Schusswaffeneinsatz bei der Polizei, S. 29 Wiss. Verlag Berlin 1999). Der Wiesbadener Polizeipsychologe Prof. Dr. Clemens Lorei von der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass "der fortgeschrittene Schusswaffeneinsatz nicht zu einer extremen polizeilichen Ausnahmesituation gehört, sondern aufgrund seiner Häufigkeit schon im Bereich der Routine angesetzt werden muss". (Quelle: C. Lorei, Schusswaffeneinsatz bei der Polizei, S. 33 Wiss. Verlag Berlin 1999). Prof. Lorei zählt 2010 in Deutschland sechs Personen und 2009 vier Personen, die durch Schüsse aus Polizeiwaffen ums Leben kamen. Dabei zeigt sich, der Tod des Regensburger Studenten ist kein bedauerlicher Einzelfall. Eine Dokumentation führt Prof. Lorei im Internet (Quelle: schusswaffeneinsatz.de).
Schwieriger ist es dagegen, Informationen über Ermittlungs- und Gerichtsverfahren nach "polizeilichem Schusswaffengebraucht", so das Amtsdeutsch, zu erhalten. Da bisher "weder bei den Innenministerien der Länder noch beim Bundesministerium des Inneren berufsständische Statistiken über Straf- und Ermittlungsverfahren geführt werden" (Quelle: Amnesty International Polizeibericht 2010), ist man für Recherchen auf Veröffentlichungen in der Presse angewiesen. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass die meisten Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte wegen "polizeilichem Schusswaffengebrauch" oder "Körperverletzung im Amt" eingestellt werden, ohne dass sie vor einem Richter landen. Das hat eine wissenschaftliche Untersuchung in der Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 2003 ergeben (Quelle: A.I. Polizeibericht 2010).
Der Berliner Informationsdienst Bürgerrechte und Polizei (CILIP) schreibt: "Die Wahrscheinlichkeit, dass Polizisten wegen einer Straftat verurteilt werden, ist ausgesprochen gering." So wurden in Bayern 1997-1999 von 2.400 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte 83% durch Einstellung oder Freispruch erledigt. Schon vor Jahren kritisierte Amnesty International, die wenigen wegen Körperverletzung oder Tötung schuldig gesprochenen Polizisten hätten "bisweilen Strafen erhalten, die in keinem Verhältnis zur Schwere der Tat standen" (Quelle: A.I. Polizeibericht 2010). Der im Grundgesetz garantierte "Schutz des Lebens" und die von Deutschland auf europäischer als internationaler Ebene unterzeichneten Menschenrechtsabkommen erfordern es, dass bei Beschwerden und Anzeigen gegen Polizeibeamte eine von institutionellen Verflechtungen unabhängige Ermittlung sichergestellt und ein eventuelles Fehlverhalten der Polizeibeamten aufgeklärt werden muss (Schlusskapitel, A.I. Polizeibericht 2010).
Deshalb verwundert es umso mehr, warum sowohl das Oberlandesgericht Nürnberg der Einstellungsbegründung der Staatsanwaltschaft Regensburg gefolgt ist und einen Klageerzwingungsantrag der Familie Eisenberg abgelehnt hat. Diese Entscheidung wurde von der bayerischen Generalstaatsanwaltschaft bestätigt. Da auch der Innenausschuss des Bayerischen Landtags, der sich mit dem Vorfall beschäftigt hatte, keine Erklärung dafür fand, warum der polizeiliche Routineeinsatz so aus dem Ruder lief, lassen die Angehörigen nicht locker und wollen den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg bringen.
Unterstützen Sie die Kampagne von Amnesty International "Mehr Transparenz und Verantwortlichkeit bei der Polizei"(www.amnesty.de/polizei).
Konrad Remold
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