Vorgesehen für : Donaustrudl Sonst noch Wünsche
Nr. 225, Dezember 2017
nicht veröffentlicht

 

The Zipfel Files -- Wem gehört Weihnachten

Seit einigen Jahren zieht eine deutsche Supermarktkette den Unmut bestimmter Kreise auf sich, indem sie zur Vorweihnachtszeit unter dem Namen Zipfelmann einen jahreszeitgebundenen Schokoladenhohlkörper auf den Markt bringt. Dieses Jahr hagelte es einen besonders ausgeprägten Shitstorm, insbesondere aus der rechtskonservativen Ecke, da der Zipfelmann erstmals im Regenbogen-Outfit erscheint.

Die Zipfelmann-Kontroverse ist jedoch nur Teil einer übergeordneten Diskussion, die von selbsternannten Kulturwahrern im Rahmen des Streits Weihnachtsmann gegen Nikolaus geführt wird. Für den Donaustrudl habe ich versucht, vor diesem Hintergrund Gespräche mit den drei Protagonisten der Debatte, Weihnachtsmann, Nikolaus und Zipfelmann zu führen.

 

Vom Pressebüro des Weihnachtsmannes werde ich harsch abgewiesen. Dessen Geschichte, so wird von dort verlautbart, sei seit Jahren allgemein bekannt und müsse nicht noch weiter durch den Dreck gezogen werden. Und im Übrigen sei man deutlich angenervt durch die andauernden Anfragen bezüglich des Weihnachtsmannes' Verhältnis zu irgendwelchen Bischöfen, Zipfel- oder sonstigen Männern.

 

Wesentlich offener fiel die Antwort des Heiligen Nikolaus von Myra aus. Er wisse um das Problem, so teilte er mir im persönlichen Gespräch mit, und obgleich auch er es als bisweilen anstrengend empfinde, jedes Jahr (und jedes Jahr früher) mit den immer gleichen Fragestellungen konfrontiert zu werden, freue er sich doch über das öffentliche Interesse an seiner Person. Bezüglich deren Darstellung im Rahmen der verbreitetsten Weihnachtsbräuche übersandte er mit folgende Presseerklärung, die ich hier gerne unverändert wiedergebe:

 

„Immer wieder kommt es in der Zeit vor Weihnachten zu zahlreichen Missverständnissen bezüglich meiner Person und meiner Rolle in eben jener Zeit. Ich möchte daher folgende Erklärung abgeben.
Mich in einem Atemzug mit der Geburt unseres Herrn Jesus Christus zu nennen, ist zwar schmeichelhaft, historisch aber völlig unbegründet. Ich lebte und wirkte in meinem Amt als Bischof an der Wende vom dritten zum vierten nachchristlichen Jahrhundert. Zum Zeitpunkt der Erscheinung unseres Herrn war ich demnach noch nichtgeboren; die Logik gebietet, dass es damals auch noch keine Kirche, somit auch keine Bischöfe gab. Zu meinen Lebzeiten bin ich meiner sozialen Verantwortung nachgekommen, dadurch, dass ich mein ererbtes Vermögen an bedürftige Gemeindemitglieder verschenkte, indem ich ihnen goldene Äpfel durch die Fenster warf. Mein Heiligenfest fällt nur zufällig in die vorweihnachtliche Zeit, wie die Feste mehrerer Dutzend anderer Kolleginnen und Kollegen auch, um die jedoch kein solches Aufhebens gemacht wird wie um mich. Mit Weihnachten haben weder ich noch die Verehrung meiner als Heiliger irgend etwas zu tun.
Die Auswüchse, die ein falsch verstandener Nikolauskult erreicht hat, erfüllen mich seit Jahrhunderten mit großer Sorge. Besonders entsetzt bin ich darüber, dass ich regelmäßig dazu missbraucht werde, um im Rahmen einer im schlechtesten Sinne schwarzen Pädagogik zu Beginn der Adventszeit, die eigentlich eine Zeit der Freude sein sollte, seelischen Druck auf Kinder auszuüben und sie zu einer Erwachsenenvorstellung von bravem Betragen zu zwingen. Von dieser Form der psychischen Gewalt, ausgeübt von maskierten Betrügern, die unter falscher Angabe meiner Pesonalien auftreten, umgeben von Helfershelfern und stillschweigend geduldet bis hin zu gefördert durch eine Kirche, die es besser wissen sollte, distanziere ich mich ausdrücklich.
Auch habe ich nicht und hatte nie einen Knecht namens Ruprecht, Krampus, oder wie immer man sie auch nennen mag. Hier verwechselt Ihr etwas und dichtet, wie in so vielen Fällen, Euere vorchristliche Tradition einer kirchlichen Überlieferung hinzu.
Dass ich darüber hinaus mit einem öminösen, gänzlich von jeder christlichen wie sozialen Tradition losgelösten Weihnachtsmann in Verbindung gebracht werde, ist für mich persönlich verletzend und diffamierend.
Ich selbst habe in der heutigen Türkei gelebt und betrachte dementsprechend die Instrumentalisierung meiner Person zwecks Schürung xenophober Vorurteile als dummdreist bis beleidigend.“

 

Soweit die Stellungnahme des Hl.Nikolaus.

Des wahren Stein des Anstoßes konnte ich lange Zeit nicht habhaft werden. Sämtliche von mir im öffentlichen Raum angetroffenen Zipfelmänner schwiegen auf meine Fragen beharrlich, auch dann noch, als ich vom Verkaufspersonal unter Androhung der Überprüfung meiner geistigen Gesundheit aus den Läden entfernt wurde.

Zu guter Letzt gelang es mir dann doch noch, einen Zipfelmann in privatem Rahmen zu befragen.

 

Rimböck: Guten Tag Herr Zipfelmann, und vielen Dank, dass Sie sich zu einem Gespräch mit dem Donaustrudl bereiterklärt haben.
Zipfelmann: Männchen, bitte. Es heißt Zipfelmännchen. So steht es auch auf Ihrem Kassenbon, wenn Sie genau hinsehen.
Rimböck: Also, guten Tag … Herr Zipfelmännchen?
Zipfelmännchen: Als grammatikalisches Neutrum bin ich geschlechtsneutral. Ich habe auch keine Genitalien. Wenn Sie sich damit besser fühlen, können Sie mich auch Zipfelperson nennen.
Rimböck: Äh, ja. Sie sind nun schon seit Jahren fester Bestandteil des weihnachtlichen Sortiments diverser Supermärkte. Erst seit Kurzem wird Ihnen vorgeworfen Sie wollten die althergebrachten Traditionen säkularisieren oder verdrängen. Wie stehen Sie zu diesen Anschuldigungen?
Zipfelperson: Ach, ich bitte Sie! Was gibt es da noch großartig zu säkularisieren? Das hat ja alles schon lange vor mir begonnen, im vorletzten Jahrhundert. Und von einer Verdrängung kann keine Rede sein. Ich habe immer gut und friedlich mit Weihnachtsmännern, Weihnachtsengeln, Adventskalendern, Mozartkugeln und dergleichen zusammengearbeitet. Keiner von uns hat jemals versucht, den anderen zu verdrängen oder von seiner persönlichen Weltanschauung zu überzeugen. Sofern Schokolade eine Weltanschauung haben kann.
Rimböck: Dieses Jahr erscheinen Sie erstmalig im Regenbogen-Outfit. Transportieren Sie damit nicht eine Weltanschauung?
Zipfelperson: Ja sicher, Frieden, Liebe und Freude, so steht es ja auch vorne auf meinem Mantel. Aber letztlich sind das universelle Werte, für die wir alle einstehen, Weihnachtsmänner, Nikoläuse, selbst die Mozartkugeln. Darüber hinaus bin ich, wie ja schon der Name ausdrückt, kein Weihnachtsmann. Ich kann also tragen, was ich will und bin nicht an irgend einen Dresscode gebunden.
Rimböck: Kritiker werfen Ihnen vor, Sie würden Homosexualität propagieren. Woran liegt diese Einschätzung Ihrer Meinung nach?
Zipfelperson: Wie ich schon erwähnt habe, habe ich keine Genitalien. Vermutlich geht es den homophoben [zensiert], die sich durch alles, was nicht ihrem kleinen Weltbild entspricht, gleich angegriffen fühlen, genauso.
Rimböck: Wie stehen Sie zu den weihnachtlichen Traditionen?
Zipfelperson: Für diese Frage bin ich der falsche Adressat, die sollten Sie mal besser ihren Mitmenschen stellen. Seit geraumer Zeit schon verkitschen und verniedlichen Sie ihre althergebrachten Traditionen, ohne dabei auf irgend etwas oder jemanden Rücksicht zu nehmen. Der arme Osterhase zum Beispiel lebt schon seit Jahren in einer psychiatrischen Einrichtung. Er konnte es nicht mehr ertragen, Jahr für Jahr wieder mit einem Fest in Verbindung gebracht zu werden, das mit der grausamen Ermordung Eueres vorgeblichen Heilsbringers beginnt, und dafür auch noch seine Eier hinhalten zu müssen. Im Vergleich dazu haben wir Zipfelleute ja direkt nochmal Glück gehabt.
Rimböck: Wie feiern Sie Weihnachten?
Zipfelperson: Im Kreise meiner Lieben, in einer Atmosphäre von Freude, Wohlwollen und Zipfelgeschwisterlichkeit.
Rimböck: Gibt es etwas, was Sie sich und uns für Weihnachten wünschen?
Zipfelperson: Den Menschenmännern gleich welcher Orientierung möchte ich sagen, dass die für sie kleidsamste Zipfelmütze nicht diejenige ist, die man über den Kopf stülpt. Allen Menschen wünsche ich, dass sie lernen, die Toleranz, die sie für sich selbt einfordern, auch anderen gegenüber zu üben. Das gilt für Christen, Muslime und anderweitig religiöse Menschen, vor allem aber auch für Atheisten. Wer mit Weihnachten nichts anfangen kann, muss das nicht andauernd öffentlich kundtun, und vor allem muss er nicht auf diejenigen herabblicken, die etwas damit anfangen können.
Ich persönlich wünsche mir, dass ich anziehen kann, was ich will, ohne für die Zwecke einer fauligen rechtslastigen Propaganda missbraucht zu werden.
Und ganz im Sinne eines alten Freundes wünsche ich Euch allen, dass zwischen all den saueren Gurken, die das Leben so zu bieten hat, hin und wieder auch ein goldener Apfel zum Vorschein kommt!
Rimböck: Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

 


 

[Zurück zum Index]