Erschienen in : Donaustrudl Sterbehilfe
Nr. 216, März 2017

 

Zum achten März -- Gewalt gegen Frauen und kein Ende

Für mich ist es dieses Jahr ein besonderer Weltfrauentag.
Zehn Jahre ist es her, dass ich just an diesem Tag eine Frau kennenlernen durfte, die mein Leben nachhaltig zum Positiven verändert hat. Es war dann allerdings auch ein Übergriff gegen eben diese Frau, die mich dazu gebracht hat, in meiner journalistischen Arbeit einen Schwerpunkt auf den Bereich Gewalt gegen Frauen zu legen.
Ein lachendes und ein weinendes Auge also, die ihren Fokus auf ein Thema richten, das im Laufe eines Jahrzehnts nicht an Dringlichkeit verloren hat. In jeder Hinsicht wäre ich ohne diese Begegnung nicht dort, wo ich heute bin.
Das gilt gerade auch für meine Zusammenarbeit mit den zuständigen Strafverfolgungsstellen, die in der damaligen Situation ihren Anfang fand.
Zum 8. März diesen Jahres habe ich mich dazu mit der Beauftragten der Polizei für Kriminalitätsopfer, Kriminalhauptkommissarin Marianne Kargl, unterhalten.
(Das Interview wurde per E-Mail bzw. telefonisch geführt; d.Red.)

DS: Gerade im Bereich häusliche bzw. sexualisierte Gewalt stehen oft Frauen als Opfer im Mittelpunkt. Jetzt wurde Ihre Funktion umbenannt von „Beauftragte der Polizei für Frauen und Kinder“ in „Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsopfer“. Ist das „nur“ political correctness, bzw. inwieweit spiegelt sich darin ein erweiterter Opferbegriff wider?
Und was können Sie über männliche Opfer häuslicher bzw. sexualisierter Gewalt sagen?

Kargl: In erster Linie hat die Umbenennung damit zu tun, dass wir immer wieder auch Anrufe von Männern bzw. männlichen Jugendlichen bekamen, die darauf hingewiesen haben, dass sie sich zuerst nicht trauten, anzurufen, da in unserer Bezeichnung ausschließlich Frauen und Kinder genannt waren.

Außerdem gibt es natürlich auch Männer, die Opfer von häuslicher oder sexualisierter Gewalt werden.
Bei häuslicher Gewalt sprechen wir durchschnittlich von ca. 15 - 20 % der Geschädigten. Besonders deutlich zu sehen, dass ca. 25 - 30 % der Opfer im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch von Kindern männlich sind.

DS: Eine altbekannte Frage, die ich dennoch wieder einfließen lassen möchte: Wie steht es um das Täter-Opfer-Verhältnis? Der „unbekannte Einzeltäter“ lässt sich medial gut präsentieren, sei es in Berichterstattung oder Kriminalfilm. Wie gegenwärtig ist dieser Tätertypus in der richtigen Polizeiarbeit wirklich?

Kargl: Das ist in der Wirklichkeit tatsächlich anders. Bei den Fällen von sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung hatten wir 2015 ca. 9 % überfallartige Delikte und 91 % bekannte Täter.

DS: Stichwort Hemmschwellen: Was hindert Opfer von Gewalt daran, ihre Peiniger zur Anzeige zu bringen?

Kargl: Die Gründe, warum Opfer keine Anzeige erstatten sind vielfältig:
Scham, Angst vor mangelnder Glaubwürdigkeit, Angst vor wirtschaftlichen Konsequenzen (wenn Ernährer z.B. in Haft geht), Angst vor Repressalien.
Der Ablauf eines Ermittlungsverfahrens ist ein Vorgang, der ggf. im Prozess endet, und natürlich nervenaufreibend und oft auch zeitintensiv.

DS: Ausschlaggebend für mich, mich vor zehn Jahren der Thematik anzunehmen war u.a. ein Satz aus einem Leserbrief, der lautete: „Väter sind Täter.“
Wie verbreitet ist Gewalt von Eltern gegen ihre Kinder wirklich?
Lässt sich allgemein ein Dunkelfeld überhaupt quantifizieren?

Kargl: Bei der Gewaltkriminalität hatten wir ca. 15 % weibliche Tatverdächtige.
Bei der Misshandlung von Schutzbefohlenen lag der Prozentsatz sogar bei ca. 44 %. Dagegen wurden 2015 94 % männliche Täter beim sexuellen Missbrauch von Kindern erfasst.

Es ist sicherlich nicht so, dass Frauen keine Gewalttaten bzw. Straftaten verüben. Aber nach wie vor ist der überwiegende Teil der Tatverdächtigen männlich. Bezüglich eines Dunkelfeldes (für die verschiedenen Deliktsfelder) kann keine Auskunft gegeben werden. Hierzu müsste man sich mit entsprechenden Studien auseinandersetzen.

DS: Was können Minderjährige, die also noch der elterlichen Erziehungsgewalt unterstehen, tun, um sich selbst zu helfen? Bzw. was können Verwandte, Freunde, Lehrer oder andere Vertrauenspersonen tun, um diese Kinder und Jugendlichen zu unterstützen?

Kargl: Es ist sehr wichtig, dass sich Erwachsene, die den Verdacht haben, dass ein Kind massive Probleme hat, mit anderen Personen beratschlagen. Kein Erwachsener (Lehrer etc.) sollte dem Kind eine Zusage machen, dass der Erwachsene ein Geheimnis behalten kann. Hiermit setzt man sich massiv unter Druck. Bei einem Verdachtsfall kann man sich an die u.g. Beratungsstellen (je nach Delikt) wenden.

DS: Der Schritt zur Polizei ist für viele Menschen immer noch ein schwerer Schritt und eine ultima ratio. Welche niedrigschwelligeren Beratungs- und Hilfsangebote gibt es? Hat sich ein proaktiver Ansatz bewährt?

Kargl: Eine Strafanzeige hat natürlich enorme Auswirkungen auf alle Beteiligten. Natürlich gibt es sehr gute niedrigschwelligere Beratungs- und Hilfsangebote, Stellen, die nicht verpflichtet sind, Strafanzeige zu erstatten. Die Polizei (auch die BPfK) unterliegt dem Strafverfolgungszwang (Legalitätsprinzip), so dass diese bei Bekannt werden einer Straftat, die notwendigen Ermittlungen aufnehmen muss. Hier gibt es keinen Spielraum.

(Beratungsstellen siehe hier; d.Red.!)

In der Oberpfalz haben wir zwischenzeitlich vier Kooperationsverträge mit Frauenhäusern, der Diakonie bzw. dem Sozialdienst Katholischer Frauen SkF geschlossen, wonach sich diese verpflichten, innerhalb von drei Werktagen der betroffenen Frau ein Beratungsangebot zu machen. Hierfür werden die Kontaktdaten - nach Unterzeichnung einer Einverständniserklärung zur Datenweitergabe - an die jeweilige Beratungsstelle übermittelt. Ziel des proaktiven Beratungsansatzes ist, den betroffenen Frauen so früh wie möglich, ein Beratungsangebot zu machen. Insbesondere wenn Kinder in gewaltbetroffenen Familien leben, erscheint es besonders wichtig, den Müttern ein entsprechendes Angebot zu machen. Nach dem Motto: Wird der Mutter geholfen, hilft dies auch dem Kind.

DS: Vielen Dank für die Informationen!

Nicht im Interview enthalten, aber von mir gestellt ist eine brisante Frage, die in jüngster Zeit als Politikum ge- und oft missbraucht wird, nämlich die Frage, ob und in welcher Hinsicht Geflüchtete eine Relevanz für den Deliktbereich der sexualisierten Gewalt haben.
Dass zu dieser Frage von polizeilicher Seite keine Auskunft gegeben werden kann, hat organisatorische Gründe.
Sämtliche Statistiken beziehen sich derzeit noch auf das Jahr 2015. Um überhaupt seriöse Aussagen machen zu können, müssen die Zahlen von 2016 herangezogen werden, die sich derzeit noch in der statistischen Auswertung befinden. Die aktuellen Zahlen, und damit auch valide Aussagen über die Delinquenz von Menschen mit Fluchthintergrund, werden Ende März vorliegen und im Zusammenhang mit der Vorstellung des Sicherheitsberichtes bekanntgegeben.
Der Donaustrudl wird entsprechend nachberichten!

 

 

Beratungsstellen sind:

Weisser Ring e.V. - Verein für Kriminalitätsopfer (09 41 / 20 85 655)
Rechtsantragstellen bei den Amtsgerichten - beraten im Hinblick auf Kontakt- und Näherungsverbot (09 41 / 200 – 30)
Jugendamt (bei Belangen von Kindern und Jugendlichen) - diese müssen Maßnahmen ergreifen, um das Wohl der Kinder/Jugendlichen zu sichern. (09 41 / 507 – 15 12)
Erziehungsberatungsstellen
Caritas/Diakonie
Notruf e.V. für vergewaltigte Frauen und Mädchen (09 41 / 24 171)
Frauenhäuser (deren Beratungsstellen)
Sozialdienst Kath. Frauen (SkF) (09 41 / 30 78 75 68)

Sowie die Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsopfer (09 41 / 506 – 13 33)

 

Anmerkung zur Online-Ausgabe:
Dieses Interview erscheint im aktuellen Heft in gekürzter Fassung, online im vollständigen Text. Die im vergleich zur Printausgabe weggefallenen Textstellen sind rot markiert.

 

 


 

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