Erschienen in : Donaustrudl Alles Müll
Nr. 156, Mai 2012

 

Freiheit ist immer die Freiheit des Gutmenschen

Eine Sprachmüllabfuhr

Die Gesellschaft für Deutsche Sprache hat gesprochen - klar, was soll eine Sprachgesellschaft auch anderes tun - und uns auch dieses Jahr wieder ein Unwort des Jahres kredenzt. Nun bin ich zwar ein bekennender Freund dessen, was sich - übrigens auch unter langjähriger Beteiligung Regensburger Germanisten - so klangvoll Sprachkritische Aktion: Unwort des Jahres nennt, diesmal war ich allerdings recht erschrocken, nicht über die erstplatzierten Döner-Morde, sondern über Platz zwei, der von einem Wort belegt wird, das ich selbst oft und gerne benutze, dem Gutmenschen nämlich. Ich zitiere aus der Begründung der GfdS, mit dem Wort werde "insbesondere in Internet-Foren das ethische Ideal des 'guten Menschen' in hämischer Weise aufgegriffen, um Andersdenkende pauschal und ohne Ansehung ihrer Argumente zu diffamieren und als naiv abzuqualifizieren", und es sei ein "Kampfbegriff gegen Andersdenkende". Auch, oder gerade auch nach dieser Erklärung bleibe ich geschockt. Wie gerne habe ich mich die letzten Jahre immer über Gutmenschen ausgelassen, vor allem die Berufsgutmenschen haben es mir angetan, also Menschen, die ihren Lebensinhalt darin sehen, anderen zu sagen, was sie tun und lassen sollen, einzig gerechtfertigt dadurch, dass sie sich moralisch überlegen fühlen. Ich habe den Begriff des Gutmenschen von dem von mir erfundenen Autor Tristram Jamesson erklären lassen, der in einem ebenfalls erfundenen Roman den Hauptdarsteller sagen lässt: "Es ist gut, dass du all das studiert hast. Du hast viel von den Dingen gelesen, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin. Und dadurch unterscheiden wir uns - du hast nur davon gelesen." Und nun werde ich als Benutzer des Wortes Gutmensch gebrandmarkt, ich würde "Andersdenkende (...) diffamieren und (...) abqualifizieren". Gleich zweimal kommt in der von mir zitierten Begründung der Andersdenkende vor, und wir kennen ihn aus Rosa Luxemburgs einschlägiger Definition von Freiheit, die gemäß ihr immer in der Freiheit des Andersdenkenden besteht. Ist Freiheit also ab sofort immer die Freiheit des Gutmenschen, und bin ich ab sofort ein böser Mensch, also ein Ungutmensch? Ich lasse diese Frage einstweilen im Raum stehen und versuche, die Kurve zum Thema des Heftes zu kriegen, indem ich ganz keck behaupte, der Zweck aller Sprachkritik bestünde darin, uns mit der Nase auf den ganzen sprachlichen Müll zu stoßen, von dem wir offenbar umgeben sind.

Ein besonderes Zuckerl liefert uns in dem Zusammenhang das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 bezüglich des Deutsch-Deutschen Grundlagenvertrages, in dem das BVerfG feststellt, die Bundesrepublik Deutschland sei mit dem Staat Deutsches Reich identisch, territorial jedoch nur teilidentisch. (BVerfGE 36,1). Seien Sie ehrlich, liebe Leserin, lieber Leser, können Sie sich unter dem Begriff der territorialen Teilidentität wirklich etwas vorstellen? Dann wird Ihnen sofort auffallen, dass der Begriff eine logische Unmöglichkeit ist. Zwei Sachen sind dann identisch, wenn sie sich vollständig gleichen, und tun sie das nur teilweise sind sie eben nicht identisch. Die obersten Rechtswahrer der Republik formulieren also hübsch juristisch verklausuliert einen Widerspruch, wie er recht viel krasser kaum sein kann und der dennoch für die nächsten 26 Jahre die fundamentale Basis der Beziehungen zwischen BRD und DDR sein sollte. Sie sehen also, dass selbst kleine Sprachtricksereien große politische Karriere machen können. Ich möchte noch ein näher liegendes Beispiel anführen. Fast jeder kennt es aus eigener Erfahrung, was der Regensburger Politologe Michael Kufner um die Jahrhundertwende als die programmatische Grundlage der bayerischen Kommunalpolitik erkannt hat, nämlich die Trias von "Des hamma oiwei scho so g'macht!", "Des hamma no nia so g'macht!" und "Wo kamat ma denn do hi!". Was fällt Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, an diesem Satz auf? Bravo, Sie haben es natürlich richtig erkannt, dieser Satz, von mir absichtlich so formuliert, ist voll von sprachlichem Müll.

Ich beginne damit, zu unterstellen, dass das, was ich Ihnen erklären möchte Ihnen ja sowieso schon bekannt ist und unterstelle damit frech, dass Sie ohnehin meiner Meinung sind. Dann nehme ich Bezug auf Regensburg und appelliere damit an Ihre Heimatverbundenheit, wodurch ich die folgende Aussage im günstigsten Fall mit einer für sie positiven Emotion in Verbindung bringen kann. Das Wort Politologe vermittelt Autorität und Sachverstand nicht nur des Zitierten, sondern auch für mich als Zitierer, immerhin beweise ich damit, dass ich Fremdwörter kann. Und ich benenne den Experten sogar - verzeih mir, alter Freund, dass ich hier von Dir klaue - und erzeuge damit noch mehr Anschein von Seriosität. Den gleichen Zweck erfüllt die Jahrhundertwende, denn eine Jahrhundertwende ist immer ein bedeutendes Ereignis und verleiht den zu ihr gesprochenen Worten gleich erheblich mehr Gewicht als Worten, die in den fünfziger Jahren eines beliebigen Jahrhunderts gesprochen werden. Die Programmatik ist hier reines Füllsel, soll aber, genau wie der Politologe, Eindruck schinden. Die gesamte Konstruktion hat freilich nur den einen, und wie ich denke erfolgreich erfüllten, Zweck, nämlich darüber hinweg zu täuschen, dass hier einfach nur Stammtischparolen ausgesprochen werden.

Mein besonderer Liebling in dem eben analysierten Satz bleibt aber die Trias. Auf Deutsch heißt das nichts anderes als Dreiergruppe, und ich sage es deshalb nicht einfach auf Deutsch, weil ein beliebtes Vorgehen der Sprachtrickser darin besteht, uns Fremdwörter vorzusetzen, deren Inhalt sich nicht gleich auf Anhieb erschließt und die deshalb ganz nach Belieben mit Inhalten gefüllt werden können. Fremdsprachige Begriffe eignen sich zur sinnentleerten Verwendung besonders gut. Aus dem Verkäufer wird der customer accountant, der Hausmeister mutiert zum facility manager, und auf die gleiche Art wurde aus dem Arbeitsamt auch das Jobcenter. Auch Rundumkennleuchte und Folgetonhorn sind für den Laien nicht auf Anhieb verständliche, diesmal nicht Fremd- sondern Deutschwörter, es handelt sich dabei um die amtlich korrekte Bezeichnung für das, was wir umgangssprachlich Blaulicht und Sirene nennen. In der Sprachwissenschaft nennt man so etwas einen Soziolekt, also eine Sprachvariante, die nur innerhalb bestimmter sozialer Gruppen verwendet und meist auch nur innerhalb dieser Gruppen verstanden wird, und bevor Sie Soziolekte kritisieren achten Sie darauf, wann Sie selbst, absichtlich oder unabsichtlich, soziolektale Wendungen benutzen. Wenn Sie es also, übrigens genau wie ich, gelegentlich leid sind, mit schwer verdaulichem Amtsdeutsch, Fachchinesisch oder Techno-Blabla konfrontiert zu sein, können Sie sich ab jetzt damit trösten, dass so manche Ihrer Wörter für jemanden aus einer anderen Lebenswirklichkeit genau so unverständlich sind.

Aber sind es nun Wörter oder Worte? Um Ihnen das zu erklären haue ich Ihnen ein weiteres Wort aus der Fachsprache des Sprachwissenschaftlers um die Ohren, nämlich die Homonymie. Zwei Ausdrücke sind dann homonym, wenn sie gleich geschrieben werden, aber unterschiedliche Bedeutungen haben. Um zum besseren Verständnis ein paar Beispiele aufzuzählen: bei Wort und Wort merkt man es erst am Plural, dass man es mit zwei verschiedenen Wörtern zu tun hat, genau wie bei Banken und Bänken, Schildern und Schilden, nur die Schlösser bleiben gleich, auch wenn sie in Gruppen auftreten. Viele kennen das berühmte Zitat aus Goethes "Iphigenie", wo es heißt: "Du sprichst ein großes Wort gelassen aus.", und Sie ahnen es sicher schon, dass es hier um Worte statt um Wörter geht. Wörter sind zunächst nichts anderes als Abfolgen von Zeichen oder Lauten, und es ist noch nichts darüber gesagt, ob der Empfänger - das ist fachdeutsch für die Person, an die die Wörter gerichtet sind - auch deren Sinn und Bedeutung erfassen kann. Wenn ich Ihnen einen Text in einer fremden Sprache vorlese, derer Sie nicht mächtig sind, können Sie nicht unterscheiden, ob ich ein wunderschönes Gedicht rezitiere oder nur die finnische Bedienungsanleitung meines Mobiltelefons hersage. Bei Ihnen kommen nur Wörter an. Damit aus Wörtern Worte werden muss der Empfänger mit ihnen auch Inhalte verknüpfen können. Wörter können nicht groß, wahr, blumig, bunt oder kalt sein. Worten gelingt dies ohne weiteres. Nach diesen strengen Kriterien gibt es auch keine Unwörter, sondern nur Unworte, und hier kritisiere ich die Gesellschaft für Deutsche Sprache, die auf ihrer Internetseite (www.unwortdesjahres.net) eben genau von Unwörtern spricht. Andererseits, wenn man ein Unwort als eine Lautfolge ansieht, deren Un-Wesen darin besteht, dass ihre eigentliche Bedeutung beim Empfänger nicht ankommt, dann haben die Sprachhüter wieder Recht. Letztlich ist also alles wie meistens nur eine Frage des Standpunktes, und deshalb werde ich mir auch in Zukunft meinen Sprachgebrauch nicht vorschreiben lassen und weiter gegen die Gutmenschen wettern, denn letztendlich ist Freiheit immer auch die Freiheit des Ungutmenschen.

 

 


 

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