Erschienen in : Donaustrudl Wege
Nr. 218, Mai 2017

 

Eine Stadt sucht ...

Ich habe noch nie so einen Ortstermin erlebt.
Schweigend gehen wir flussaufwärts, auf dem schmalen Uferweg vom Eisernen Steg in Richtung Herzogspark, neben dem Schlauchboot her. Ein Dutzend Kamerateams, Radioreporter, Vertreter der Printmedien. Gelegentliche Jogger oder Radfahrer wirken in diesem Szenario deplatziert, beinahe surreal. Unter einer oberflächlich lockeren Stimmung verbirgt sich Anspannung. Wir alle arbeiten unter dem Wissen, im schlimmsten Fall einer Leichenbergung beiwohnen zu müssen. Professionalität hilft, aber im Inneren der Seele nagt dennoch etwas.
Ich berichte zwei Tage lang über die Suchmaßnahmen nach der verschwundenen Studentin Malina Klaar, live via Twitter, und weltweit – selbst im fernen Australien wird meine Berichterstattung von einer Ex-Regensburgerin aufmerksam verfolgt. Große Worte aus der Feder des Reporters eines spartenbezogenen Monatsmagazins in einer beschaulichen, ostbayerischen Stadt.
Ob der Aktualität der Situation setze ich erstmals elektronische Kommunikationsmedien ein, um zeitnah von vor Ort zu berichten. Und ich mache eine weitere, für mich neue Erfahrung. Ich lerne das Phänomen des Twitter-Trolls kennen.

Neben viel Anerkennung und zahlreichen neuen Followern bringt mir meine Arbeit auch viel Geschwafel, Kritik und offen kommunizierte Feindseligkeit ein.
Am Donnerstag Mittag twittere ich die wörtliche Aussage eines Pressesprechers, es gebe keine konkreten Hinweise auf eine Straftat. Wenig später ereilt mich der erste Kommentar. Ein Twitter-Nutzer unterstellt mir sinngemäß, ich sei ja auch nur Teil der Systempresse, die in Zusammenarbeit mit der Polizei einen weiteren Mord durch Asylanten vertuschen wolle. Ich bin zunächst erschrocken und reagiere zu spät, der Nutzer blockiert mich, ich habe keinen Zugriff mehr auf seine Äußerungen. Aber ich lerne schnell, mache ab sofort von jedem neuen Kommentar einen Screenshot.
Sie kommen durchweg aus der besorgten – oder sagen wir es offen – kryptofaschistischen Ecke.

Zuhause am PC recherchiere ich weiter und klicke mich durch ein Dickicht an unbegründeten Spekulationen, wüsten Verschwörungstheorien und teilweise offen rassistischen Äußerungen. Äußerungen, die ich bewusst nicht wiedergeben will. Aber das muss ich auch gar nicht, interessierte Leserinnen und Leser können selbst prüfen und unter dem Hashtag #Malina die menschenverachtenden Kommentare der Besorgten nachlesen.
„Hobbykriminologen und verschwurbelte AfD-Trolle in Sachen #Malina bitte die Fresse halten und die Profis arbeiten lassen!“, lautet mein Statement via Twitter, und postwendend ernte ich wieder Belehrungen und Anfeindungen. Wie praktisch immer endet der Versuch einer vernünftigen Diskussion damit, dass man mit abstrusen Sprüchen und vermeintlich intelligent wirkenden Satzkonstruktionen an der Grenze der Unverständlichkeit zugetextet wird. Entnervt rate ich meinem Kommentator, wenn er so schlau sei, solle er sich mit seinen Erkenntnissen doch am besten an die Regensburger Polizei wenden. Seitdem ist zumindest seitens dieses Zeitgenossen Funkstille eingetreten.

Es ist für mich zu einem gewissen Grad verstörend. Anstatt mich mit den eigentlichen Fakten einer Vermissung zu beschäftigen, muss ich mich mit denjenigen herumschlagen, die ihre eigenen Fakten nicht nur erfinden, sondern sie auch noch in aller Impertinenz und in nicht selten Brechreiz erregender Weise bei jeder Gelegenheit öffentlich breittreten.
Aus einem Vermisstenfall wird eine soziologische Studie. Das ungewisse Schicksal einer jungen Frau und das Leid ihrer Familie werden für eine politische Propaganda instrumentalisiert, die allem den Kampf ansagt, was die Freiheit in einem Land ausmacht – Demokratie, Pressefreiheit und die Überzeugung von der Gleichwertigkeit der Menschen.

Es gibt Menschen, die jeden von ihrer eigenen Weltsicht abweichenden Standpunkt als Lüge und Verschwörung betrachten. Es gibt Menschen, die mit Theorien und Spekulationen das herbeizubeten versuchen, was ihnen fehlt: Gewissheit. Es ist ein psychologischer Effekt, entsprungen dem horror vacui, der Abneigung, eine Leere anzunehmen. Auf diese Weise entstehen Religionen, auf diese Weise entstehen Verschwörungstheorien, und vor dem Hintergrund dieses Mechanismus salbadern sich ansonsten vernunftbegabte Wesen ihr eigenes, abstruses Lagebild zusammen. Konfabulation nennt man es in der Psychologie, und der Konfabulant lügt weder in einem ethischen, noch in einem juristischen Sinne, da er fest von der Richtigkeit seiner frei erfundenen Thesen überzeugt ist. Das macht diese Menschen so problematisch.

Die Aussage, es liege kein Indiz für eine Straftat vor, bedeutet genau das. Es schließt eine Straftat nicht aus, als eines von mehreren möglichen Szenarien. Szenarien, die, solange sich die Spurenlage nicht ändert, gleichwertig nebeneinander stehen.
Diese Unsicherheit beheben zu wollen, ist menschlich. Darüber ins Unmenschliche abzurutschen, ist gefährlich.

Wenige Tage später. Am Kassiansplatz sticht ein Mann auf einen anderen ein und verletzt ihn schwer. Auch diesmal bin ich wieder live vor Ort. Ein Handschlag mit dem Kollegen von News 5, ein freundliches Gespräch mit dem Bereitschaftspolizisten, der vergangene Woche auch am Herzogspark schon an der Absperrung stand, dann warten auf das Eintreffen des Presseteams.
Die Fragen bleiben sachlich, die Pausen dazwischen etwas zu lang, erneut die schon bekannte Anspannung. Der Kollege von Charivari stellt sie schließlich, die Frage, die uns allen weniger auf dem Herzen als vielmehr wie ein Stein im Magen liegt, nach der Nationalität und nach dem möglichen Motiv des Tatverdächtigen. Zunächst heißt es, es handle sich um einen jordanischen Staatsbürger, später kommt der Nachbericht, tatverdächtig sei ein 23jähriger Syrer. Gegen 17:00 Uhr die erlösende Meldung: es liegt kein politisch-religiöser Tathintergrund vor.

Für die meisten Menschen eine erleichternde Nachricht. Für diejenigen, die die Stunden davor damit verbracht haben, den Terror nach Regensburg reden zu wollen, vermutlich eine herbe Enttäuschung. Aber es gibt ja immer noch die Möglichkeit, alles als Verschwörung von Polizei und Systempresse darzustellen.

Malina und Kassiansplatz.
Zwei Fälle, die inhaltlich nicht zusammenhängen. Der Zusammenhang entsteht durch den propagandistischen Missbrauch durch Menschen, die unser Land und seine Grundprinzipien verändern wollen – zum Schlechteren hin.

Auf Nachfrage bestätigt mir das Polizeipräsidium Regensburg eben (Stand: 30.03.2017, 15:00) noch einmal, dass es in Sachen Malina nach wie vor keine Hinweise auf eine Straftat gibt, ebenso wie in Sachen Kassiansplatz kein Hinweis auf einen religiösen oder terroristischen Hintergrund vorliegt. In beiden Fällen wird in alle Richtungen weiterermittelt.

Ich schreibe noch mit einem guten Freund, über die zahlreichen Hasskommentare auf Facebook. Ich will sie gar nicht mehr lesen. Ich schreibe: „Wenn ich kotzen will, betrinke ich mich lieber ordentlich, das macht im Vorfeld mehr Spaß und unterstützt die heimische Wirtschaft.“

Ein zynischer Kommentar, angesichts einer Vermissten und eines Schwerverletzten. Verglichen mit dem, was andere zu den Themen beizutragen haben – geradezu harmlos.

 

 


 

[Zurück zum Index]