Erschienen in : Donaustrudl Konsum & Genuss
Nr. 219, Juni 2017

 

Die andere Seite der Dult

„Ist hier gesperrt?“ Eine Frage, die etwas seltsam anmuten mag, angesichts eines quer auf der Straße stehenden Polizeibusses, Absperrpylonen, gelber Blinklichter. Der Herr, der sie an die Polizeibeamtin neben mir richtet, hat auch schon erkennbar die eine oder andere Maß intus.
Kurz vor 22:00 Uhr wurden die Zufahrten zur Oberpfalzbrücke tatsächlich für den PKW-Verkehr gesperrt, wegen der zahlreichen Fußgänger, die von der Brücke aus das Dultfeuerwerk bewundern.

Eine gute Stunde zuvor warte ich vor der Polizeiinspektion Regensburg Nord Am Protzenweiher auf die Begleitung für meinen diesjährigen Dultbesuch. Der Termin verzögert sich etwas. Wie ich erfahre, wurde auf dem Festgelände ein volltrunkener Mann aufgesammelt, den Papieren nach vom anderen Ende der Republik kommend, und so alkoholisiert, dass er nicht mehr weiß, wer, geschweige denn wo oder bei wem er zu Gast ist. Wenige Stunden zuvor hatte das Team Soziale Medien der Pressestelle des Polizeipräsidiums via Facebook noch eine Nachricht ausgesteuert. 60 Euro für eine Übernachtung ohne Frühstück, hieß es dort ironisch, verbunden mit einer interaktiven 360°-Ansicht einer Arrestzelle der PI Nord. Der Herr von der Nordsee ist damit in diesem Jahr der erste, der dieses Angebot zu Dultzeiten, wenn wohl auch nicht ganz freiwillig, annimmt.

Dann geht es los, wir sind zu fünft in unserer kleinen Gruppe, Dienststellenleiter Erster Polizeihauptkommissar Ludwig Stegerer, der heute Abend auch die Einsatzleitung innehat, Polizeikommissarin Frau Wild, Praktikant Herr Rauch, eine Dame vom Sozialdienst, und ich für den Donaustrudl, fahren mit dem erwähnten Polizeibus zum Festgelände und dort erst einmal weiter zum Standort des Feuerwerks.
Schwere Betonblöcke und dicke Stahlseile sichern die Zufahrt zum Dultplatz; die Terrorakte der letzten Monate, bei denen Fahrzeuge als Waffen verwendet wurden, werfen ihre langen Schatten bis nach Regensburg.

Im Bereich rund um den Anhänger mit der Pyrotechnik werden noch die letzten Besucher durchgelassen, dann wird aus Sicherheitsgründen auch hier für die Dauer des Feuerwerks abgesperrt. Und siehe da, auch Polizeibeamte sind Volksfestbesucher wie andere auch. Einige der jungen Leute, die uns hier im dulttypischen Outfit begegnen, werden mir als Kolleginnen und Kollegen vorgestellt, die in den nächsten Tagen in Uniform ihren Dienst auf dem Festplatz tun werden.

Nicht lange nach Ende des Feuerwerks, kommt es in der Nähe der Zufahrt zu tumultartigen Szenen. Zwei Streifenwagen rücken an, ich werde kurzzeitig von der Gruppe getrennt. An der Böschung zum Donau-Altarm hinunter scheint es zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen zu sein.
Als ich wieder zu meiner Begleitung stoße, ist eine Gruppe des Einsatzzuges Amberg vor Ort, eine Person wird abgeführt, eine weitere sitzt bereits in einem der Streifenwagen. Es beginnen die für mich prägendsten Minuten dieses Einsatzes.
Dutzende Menschen strömen herbei. Durchweg junge Leute, Anfang Zwanzig, einige deutlich jünger, die meisten deutlich erkennbar unter dem Einfluss von Alkohol – mindestens unter dem Einfluss von Alkohol – stehend. Die Stimmung ist aggressiv. Die Polizeibeamten werden lautstark und aufs Übelste beschimpft und beleidigt.
Ich habe auch ein Ohr in Richtung der Umstehenden, und ich erinnere mich noch einmal, was ich gesehen habe. Drei Polizeibeamte, die einen kräftigen, aggressiven und unter Alkoholeinfluss stehenden Mann abgeführt haben. Nur wenige Sekunden später erzählen Menschen, die das Gleiche wie ich gesehen haben, den neu Hinzugekommenen, es wären fünf Polizisten gewesen, kaum eine Minute später sollen sich angeblich schon acht Beamte auf einen einzelnen Randalierer gestürzt haben, und es ist evident, in welche Richtung der Realitätsferne sich das Gerücht im Lauf des Abends noch entwickeln wird.
Ich kenne solche Szenen aus TV-Dokumentationen und aus Erzählungen von Polizeibeamten. Und ich stelle für mich fest, dass es einfach ist, solche Situationen vom heimischen Fernsehsessel aus zu analysieren und zu kritisieren. Direkt vor Ort bin ich froh um die Polizistinnen und Polizisten, die uns vor der aufgebrachten Menge abschirmen.

Ebenfalls am Ort des Geschehens finden wir einen alkoholisierten jungen Mann vor, kaum ansprechbar. Mit Blaulicht bringen wir ihn zur Dienststelle, da unserem Fahrgast im Bus ersichtlich übel zumute wird.
Die büromäßige Aufarbeitung der Vorfälle verschafft mir eine kleine Pause. Zusammen mit unserer Begleiterin vom Sozialdienst treffe ich im Innenhof der PI auf einen Beamten des Einsatzzugs, der noch eine halbe Stunde zuvor ganz vorne bei den Ereignissen am Dultplatz mit dabei war. Dort noch ganz Herr der Lage, steht ihm in den wenigen Minuten der Ruhe der Stress ins Gesicht geschrieben. Wir reden nicht viel, weil wir alle erst einmal runterkommen wollen, insbesondere wir Zivilisten, für die solche Situationen eben gerade nicht zum regelmäßigen Erleben gehören. Aber wir hören von dem latenten Gefahrenpotential, das solche Einsätze immer mit sich bringt, insbesondere, wenn das Gegenüber nicht mehr ganz Herr seiner Sinne ist.

Zum letzten Mal an diesem Abend fahre ich danach mit zurück zum Dultplatz. In der abschließenden Runde ist nun auch Zeit für das eine oder andere ruhigere Gespräch. In den letzten Jahren sei es mit den polizeilich relevanten Vorfällen auf der Dult schlimmer geworden, erfahre ich von Herrn Stegerer. Der Respekt vor der Polizei sei geringer geworden, und natürlich spiele bei allem auch der Alkohol eine Rolle. Insbesondere junge Frauen sprechen dem erkennbar mehr zu, als noch in früheren Jahren.
Ich stelle die Frage, die ich stellen muss, da sie doch in den Medien und in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch kontrovers und nicht immer objektiv und unvoreingenommen diskutiert wird – nämlich die nach der Rolle von Flüchtlingen bei Vorfällen auf der Dult. Aber hier erhalte ich Entwarnung. Gemäß ihrem nur äußerst geringen Anteil an der Bevölkerung werden Flüchtlinge zu Dultzeiten polizeilich auch nicht auffälliger, als Angehörige anderer Nationalitäten, der Deutschen mit eingeschlossen.

Als wir schließlich gegen halb zwölf vor der Polizeiinspektion wieder aus dem Bus steigen, werde ich Zeuge zweier Unterhaltungen, die noch einmal ein abschließendes Licht auf das Thema Alkohol und menschliches Verhalten werfen.
Einige sehr junge und ein wenig angeheiterte Damen bekunden Herrn Stegerer ihre Sympathie für Polizeibeamte im Allgemeinen und unbekannterweise für ihn im Speziellen. Da wird der Dienststellenleiter dann schon mal mit Du angesprochen, es wird noch einmal die Wertschätzung bekundet, und die jungen Damen laufen weiter. Ein nicht mehr ganz junger Herr, der schon sichtlich Schwierigkeiten beim Geradeauslauf zeigt, wendet sich mit einer erheblich deutlicheren Avance an die Beamtin in unserer Begleitung, zieht aber dann letztlich auch seines gewundenen Weges. Beides wird mit einem Schmunzeln quittiert, schließlich ist es der erste von noch vielen Tagen Regensburger Maidult.

Für mich endet ein Termin, der mich ganz nahe an mein spezielles Thema Polizei gebracht hat, und den ich jederzeit wiederholen würde. Die Regensburger Dult ist mehr als Randale und Komasaufen. Aber auch ihre unschönen Aspekte sollen und müssen kommuniziert werden.

 

 


 

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