erschienen in : Donaustrudl Geld
Nr. 159, Juli 2012

 

Erbarmen mit den Armen?

"Make Poverty History", reichlich frei übersetzt "Verbannt die Armut in die Geschichtsbücher", ist ein Schlagwort, das allenthalben gerne zitiert wird, seit 2005 anlässlich des G8-Gipfels die gleichnamige Kampagne initiiert wurde, und kaum eine Partei tritt zu Wahlen an ohne den griffigen Vorsatz, Armut bekämpfen zu wollen. Parallel dazu werden dann aber gerne auch Stimmen laut, die "die Reichen" als Feindbild erkennen und ihnen am Liebsten ihr ganzes Geld abnehmen würden. Wie man es also auch macht ist es verkehrt. Natürlich erstreckt sich zwischen den beiden Extremen der Bitterarmen und der Superreichen ein breites Spektrum aus mehr oder weniger Wohlhabenden, trotzdem stellen sich mir zwei Fragen, die gesellschaftlich mittlerweile akzeptierte Frage, was denn an Armut so positiv sein soll, und die viel seltener und wesentlich leiser gestellte Frage, was an Reichtum so schlecht ist. Die christliche Weltanschauung, die Europa jahrhundertelang und bis zum heutigen Tag geprägt hat, geht einher mit einer gewissen Glorifizierung der Armut. Der reiche Jüngling, der Jesus fragt, was er denn tun müsse, um ins Himmelreich zu gelangen, erhält zur Antwort, er solle all seinen Besitz verkaufen und den Erlös den Armen schenken. Reichlich zynisch, will man meinen, denn wenn die Armen nicht mehr arm sind, wird ihnen dadurch ja wieder der Weg in das Himmelreich versperrt. Der Jüngling tut also gut daran, seinen Besitz möglichst so großflächig zu verteilen, dass die Armen hinterher allenfalls ein bisschen weniger, aber eben immer noch arm sind, und er dann auch, so dass sie alle Arm in Arm ins reich Gottes einziehen können. Die Armen auf ein abstraktes, nach dem Tod eintretendes Reich Gottes zu vertrösten, sie durch Almosen gerade einmal so am Leben zu erhalten, aber darüber hinaus nichts zu tun, um sie aus ihrer Armut heraus zu holen, war entsprechend auch Jahrhunderte lang die erklärte Doktrin der christlichen Kirchen beiderlei Couleur. Aber man braucht nicht kirchlich zu denken, um das Loblied der Armut zu singen. Man solle doch gefälligst mit dem zufrieden sein, was man hat, so lautet eine Forderung, die bevorzugt von jenen, die viel haben an diejenigen gestellt wird, die wenig bis gar nichts haben. Arm, aber glücklich solle man sein, und viel Geld bringe auch viel Probleme mit sich. Im Umkehrschluß würde das dann lauten, dass Leute, die wenig Geld haben auch weniger Probleme hätten, und dann müssten sich die Reichen tatsächlich die Frage gefallen lassen, warum sie sich nicht von ihren Sorgen befreien und all ihr Geld verschenken. Aber die Armen stellen diese Frage nicht, sondern glorifizieren sich noch selbst. Geld würde den Charakter verderben, heißt es dann. Und das glaube ich nicht. Es gibt genau so arme Charakterschweine wie es aufrichtige Reiche gibt. Das Problem ist hier eher wahrnehmungspsychologisch bedingt, denn einem reichen Charakterschwein fällt es durch sein Geld wesentlich leichter, besser aufzufallen. Machen Sie bei sich selbst den Test, liebe Leserin, lieber Leser, und stellen Sie sich vor, Sie hätten den Lotto-Jackpot gewonnen. Würden Sie auf das Geld verzichten? Ich würde es ehrlich gesagt nicht tun und statt dessen das Risiko in Kauf nehmen, mir durch den plötzlichen Geldsegen charakterliche Defizite einzuhandeln. Die werden mir von manchen Menschen ja heute schon unterstellt, und das, obwohl ich kein Geld habe.

Lassen Sie mich noch einmal kurz zum Christentum zurückkommen. Das kleine Scherflein der armen Witwe, so lesen wir, sei mehr wert als das Goldstück des reichen Mannes. Ein hoher moralischer Ansatz, und in den Augen Gottes mag das so sein. Die Kirchen haben diese Geschichte jahrhundertelang genutzt, um arme Witwen dazu zu bringen, ihnen auch noch ihr letztes Scherflein zu überlassen, im Praxistest versagt diese Anschauung allerdings. Beim Bäcker oder Metzger bekomme ich für meinen Euro auch nicht mehr, nur weil ich Hartz-IV-Empänger bin, als ich bekäme, wenn ich Multimillionär wäre. Das liegt daran, dass entgegen aller wie auch immer motivierter Deutungen zum Trotz, Geld an sich weder gut noch böse ist. Wenn es nicht gerade selbst als Handelsware betrachtet wird, ist es das, als was es schon Karl Marx erkannt hatte, nämlich ein universelles Tauschmittel, das es jedermann ermöglicht, in den entsprechenden Läden ein paar Semmeln oder ein Pfund Hackfleisch zu erwerben.
Bleiben wir beim Thema Geld und Ernährung.

Seit einiger Zeit geistert die Aussage durch das Internet, dass gemäß amtlicher Festlegung für das Futter eines Polizeihundes ein höherer Tagessatz vorgesehen sei als für die Ernährung eines Hartz-IV-Empfängers. Sucht man dafür Belege, so muss man lange recherchieren, bis man schließlich feststellt, dass diese Behauptung nicht stimmt (Polizeihund: 1,93 Euro, Hartzer: 3,99 Euro, Quelle: Hartz4-Netzwerk-Essen e.V., www.bg45.de). Zuvor quält man sich durch eine nicht enden wollende Menge an Internet-Foren, in denen kritik- und bedenkenlos die ach so bequeme Unwahrheit immer schön weiter verbreitet und durchdiskutiert wird, meist mit dem Endergebnis, dass die Sozialgesetzgebung, der Staat und vor allem der Polizeihund ja sowieso alle böse seien. Unabhängig davon, was dieses Rechenbeispiel über die Angemessenheit des Hartz-IV-Satzes aussagt (meiner Meinung nach ist er unangemessen zu niedrig), sagt es vor allem etwas über die Geisteshaltung vieler armer Menschen in unserem Land aus. Lassen Sie es mich offen formulieren, es handelt sich um eine ätzende Mischung aus Selbstmitleid und Sozialgejammere. Dass gerade solche Horrorstories wie die eben erzählte immer und immer wieder weitergereicht werden und sich kaum jemand die Mühe macht, ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen spricht für sich. Die Nachricht dahinter lautet: Wir sind arm, bemitleidet uns gefälligst. Solche Menschen sind nicht nur arm, weil sie kein Geld haben, solche Menschen sind arm, weil sie sich arm denken. Und weil sie sich in diesem Denken gefallen, so gut, dass sie bedenkenlos und unüberprüft falsche Geschichten in die Welt setzen, weil sie so schön ins geistig arme Weltbild passen, das nebenbei bemerkt laut Jesus auch ein Freifahrtschein ins Himmelreich ist.

Wenn es wirklich stimmt, dass Geld den Charakter verdirbt, dann frage ich mich, was es über den Charakter eines Menschen aussagt, eifersüchtig auf einen Polizeihund zu sein.

Wir können ja nichts dafür, heißt es als Rechtfertigung oft, und das stimmt häufig auch, und ich bin vorbehaltlos bereit zu glauben, dass sich niemand freiwillig das Leben als Hartz-IV-Empfänger aussucht. Aber wir tun gut daran, so habe ich unlängst im Psycho-Training gelernt, unsere Probleme selbst zu lösen, auch wenn wir sie nicht selbst verursacht haben. Dabei bin ich kein Befürworter einer Arbeit-um-jeden-Preis-Doktrin, mir geht es nicht um äußere Maßnahmen, nicht ums Fördern und nicht ums Fordern, mir geht es um die innere Einstellung unserer jeweiligen finanziellen Situation gegenüber. Geld ist nichts Böses, Geld zu haben auch nicht, und dementsprechend auch nicht, mehr Geld haben zu wollen. Mit dem Wenigen, das man hat zufrieden zu sein ist höchstens eine Übergangslösung, denn man kann auch mit Viel unzufrieden sein, und ich bin lieber mit Viel zufrieden als mit Wenig. Wer nicht arbeiten kann, aus Gründen des Alters, einer Krankheit, oder weil es gerade keine passende Arbeit für ihn gibt (denn nicht jede Arbeit ist für jeden Menschen geeignet) soll auch vollumfanglich unterstützt werden, und zwar ohne Repression und in höherem Maße, als es derzeit der Fall ist. Aber in einem weinerlichen Armutsbewußtsein verharren soll man nicht. Selbst Lotto spielen ist ein Ansatz, wenn auch nicht unbedingt ein besonders intelligenter, und wer gar nicht anders kann soll wenigstens reich heiraten.

Aber bitte hört auf zu jammern. Und lasst die armen Polizeihunde in Ruhe.

 

 


 

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