erschienen in : Donaustrudl Kinder
Nr. 185, August 2014

 

Wenn Kinder zu Tätern werden

Oft genug habe ich mich an dieser Stelle für den Donaustrudl mit der Perspektive der Opfer beschäftigt, gerade auch von Kindern als Opfer. Was nun aber tun im umgekehrten Fall. Wie sieht es aus, wenn Kinder und Jugendliche zu Tätern werden.

Das Lamento über einen angeblichen oder tatsächlichen Sittenverfall der nachrückenden Generationen ist so alt wie die Kulturgeschichte selbst und hat auch in unserer Zeit, nicht zuletzt auch dank der uns zur Verfügung stehenden Medien, nichts an Präsenz eingebüßt. Bilder von teilweise brutalst aufeinander einprügelnden Jugendlichen, wie erst vor kurzer Zeit die aus Wilhelmshaven, halten sich tage- und wochenlang in den Nachrichtensendungen, und gerade einmal sechs Jahre ist es her, und von vielen schon wieder vergessen, dass Dominik Brunner an einer Münchner S-Bahn-Station bei einer Auseinandersetzung mit jugendlichen Angreifern getötet wurde. Jugendliche Angreifer, vor deren ebenfalls minderjährige Opfer er sich zuvor schützend gestellt hatte. Um etwas Licht in diese durchaus undurchsichtige Situation zu bringen und gerade auch die Lage in Regensburg und der Oberpfalz genauer zu beleuchten, traf ich mich im Polizeipräsidium mit der Beauftragten der Polizei für Frauen und Kinder, KHKin Barbara Arendt, PHK Christian Mätzner, einem Ermittlungsbeamten in Sachen „jugendliche Intensivtäter“ bei der Polizeiinspektion Regensburg Süd im Minoritenweg und EKHK Georg Gottschalk, Sachbearbeiter für das Sachgebiet Kriminalitätsbekämpfung am Polizeipräsidium Oberpfalz.

Die krude Statistik betreffend der Delinquenz von Kindern und Jugendlichen ist dem Sicherheitsbericht für das vergangene Jahr entnehmbar. Dabei gelten, nur noch einmal zur Erinnerung, Menschen unter 14 Jahren juristisch als Kinder, die, wenn sie auffällig werden, zwar statistisch erfasst, gegen die aber polizeilich nicht weiter ermittelt wird. Menschen zwischen 14 bis einschließlich 17 Jahren gelten als Jugendliche, für die ein eigenes Strafrecht besteht. Ab 18 ist der Mensch dann volljährig, bis zum 21. Lebensjahr gilt er allerdings in Deutschland noch als Heranwachsender, für den situationsbezogen entweder Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewandt wird.

Dabei lag die Zahl der Kinder, die als Tatverdächtige auffällig wurden, oberpfalzweit bei 605 (2,6% der gesamten Tatverdächtigen), davon 145 in Regensburg (2,7%), jugendliche Tatverdächtige wurden 2016 (8,8%, Rgbg. 635, 11,6%) erfasst. Für sich alleine sind diese Zahlen nicht aussagekräftig. Über einen längeren Zeitraum hinweg betrachtet verraten sie uns, dass die Zahl der auffällig gewordenen Kinder den niedrigsten Stand der letzten zehn Jahre erreicht und sich im Vergleich zu 2004 nahezu halbiert hat.

Was ist nun also mit der immer wieder an Stammtischen und in Internetplattformen vorgebrachten These, dass es mit der Kriminalität bei Kindern und Jugendlichen immer schlimmer wird. So pauschalisierend ist diese Aussage ebenso wenig haltbar wie ihr Gegenteil. Kriminalität bei Kindern und Jugendlichen ist gesellschaftlich präsent, und bloße Fallzahlen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hemmschwellen in der Praxis oft sehr niedrig angesetzt sind.

Die sozialen Verhältnisse, in denen ein Kind aufwächst, spielen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Delinquenz bei Minderjährigen kommt zwar durch alle Schichten vor, so dass auch hier eine Pauschalisierung unseriös wäre, das Elternhaus und das darüber hinaus gehende soziale Umfeld spielen dennoch und unbestreitbar eine wichtige Rolle bei der Frage, ob und unter welchen Umständen Kinder und Jugendliche straffällig werden.

Einen lokalen Schwerpunkt bildet dabei die Dauerproblemzone Albertstraße. Hier kommen die Altersgruppen miteinander in Kontakt, und hier kommen auch Kinder und Jugendliche in Kontakt mit den einschlägig bekannten Problemfeldern. Und dennoch spielen illegale Betäubungsmittel zwar eine gewisse, trotzdem nur untergeordnete Rolle. Hauptproblem bleibt der wesentlich einfacher zu beschaffende Alkohol.

Alkohol als Substanz senkt Hemmschwellen, und einen weiteren gewichtigen Faktor stellt das persönliche Umfeld dar. Die Gruppe macht stark, so heißt es im Gespräch, und so manch eine/r lässt sich mit der psychologischen und oft genug auch handgreiflichen Unterstützung durch die Clique auf Handlungen ein, die er sich als Einzelner nicht ohne weiteres trauen würde. Opfer sind dabei, vor allem bei Straftaten gegen die Person, zumeist Gleichaltrige oder Jüngere.

Nicht minder bedeutsam einzuschätzen ist, dass sich viele Minderjährige oft genug nicht der möglichen Folgen ihres Handelns bewusst sind. Dies ist einer der Punkte, an dem das Präventionskonzept „JUIT“ ansetzt. JUIT steht für „Jugendliche Intensivtäter“, und so nennt man im einschlägigen Sprachgebrauch Jugendliche, die v.a. durch Gewaltdelikte wiederholt auffällig werden. Und das Präventionskonzept besteht darin, mit dem jugendlichen Ersttäter zu arbeiten, der mit 14, an der Schwelle vom Kindes- zum Jugendalter zum ersten Mal rechtlich für seine Handlungen verantwortlich ist und dann womöglich auch gleich zum ersten Mal polizeilich auffällig wird.

Die beste Prävention, darüber sind sich die Anwesenden einigt, besteht allerdings in einem stabilen Elternhaus. Entsprechend auch der Appell der Beamtinnen und Beamten an die Eltern, die Kinder pädagogisch nicht alleine zu lassen, auffälliges Verhalten zu thematisieren, mit den Kindern zu reden und mit den, nicht gegen die Kinder zu handeln.

Das Ziel besteht darin, aus dem eben auffällig gewordenen Gerade-noch-Kind eben keinen jugendlichen Intensivtäter werden zu lassen.

 

 


 

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