vorgesehen für : Donaustrudl Seifenblasen
Nr. 160, August 2012
nicht veröffentlicht

 

Boy in the Bubble

Sein Name war David Vetter, aber alle nannten sie ihn nur den bubble boy. David wurde 1971 mit einem schweren Immundefekt geboren, aufgrund dessen es ihm an Resistenz gegen jede Art von Krankheitserregern fehlte. Um sich zu schützen lebte er fortan in einer Plastikblase.

Schon zu Davids Lebzeiten war die Blase Gegenstand kontroverser Diskussion. Die Einen sahen darin die Manifestation des medizinischen Fortschritts jener Zeit, andere beurteilten sie als Manifest der menschlichen Überheblichkeit. Die Verfilmung "Bubble Boy" aus dem Jahr 2001, die von den Kritiken allgemein als von erstaunlicher Geschmacklosigkeit bezeichnet wird, bringt dabei noch einen anderen Aspekt mit ins Spiel. Während die Krankheit des echten David unheilbar war, ist die Hauptfigur des Filmes, Jimmy genannt, seit seinem vierten Lebensjahr wieder gesund, wird jedoch von seiner Mutter bis ins Jugendalter in Unwissenheit in der Plastikblase gehalten, damit die auch weiterhin die Kontrolle über ihn behalten kann.

Über elternbedingte Kindheitstraumata zu schreiben überlasse ich an dieser Stelle bewusst denjenigen Kollegen, die sich damit schon erfolgreicher auseinandergesetzt haben als ich, der ich immer noch mitten in dieser Auseinandersetzung stecke. Aber ähnlich wie der reale David und der fiktive Jimmy leben viele von uns in ihrer ganz eigenen Blase und haben, wie David, panische Angst davor, dass sie platzen könnte.

Das Strudl-Thema "Seifenblasen" animiert gerade dazu, sich mit negativen, mit Themen der Trauer und der Enttäuschung auseinanderzusetzen, ist doch die Seifenblase ein sehr greifbares Bild für Vergänglichkeit – versucht man, nach ihr zu greifen, platzt sie. Und das Zerplatzen wird gerne als negative Metapher verstanden, von den zerplatzten Kindheitsträumen und zerplatzten Lebensentwürfen bis zu sehr realen Bedrohungen wie zerplatzenden Blutgefäßen oder zerplatzenden Kernkraftwerken. Vor alledem ziehen wir uns gerne in Isolation zurück, in unsere eigene Blase, die anfangs wie eine Seifenblase wirken mag, in der Praxis aber oft eine Konsistenz erreicht, härte als Stahlbeton.

Ich habe es an anderer Stelle (vgl. DS 6/2012) schon erwähnt, das Spannungsfeld zwischen der Abgrenzung, dem notwendigen psychischen Eigenschutz einerseits und der Isolation, dem gezielten Wegignorieren andererseits. Und auch das habe ich erwähnt, dass Abgrenzung nicht so weit gehen darf, dass uns unser Umfeld egal wird. Würden wir uns alle maximal abgrenzen, gäbe es keinen Donaustrudl, weil es niemanden gäbe, der freiwillig und ehrenamtlich Zeit und Energie investiert, Beiträge für diese Zeitung zu schreiben. Aber auch hier droht das andere Extrem des erhobenen Zeigefingers, des sich Anmaßens, anderen Menschen vorzuschreiben, wie sie ihr Leben leben sollen, noch nicht einmal aus Sachzwang oder vermeintlicher bzw. tatsächlicher Kompetenz heraus, sondern allein durch Machbarkeit. Wir verhalten uns dann nicht anders als die Ärzte des kleinen David, die immer nur neue und andere Blasen konstruiert haben, die immer nur neue und andere Ängste mit sich gebracht haben. Leben in der Blase ist ein Leben in der Isolation, gelegentlich freiwillig, oft genug unter Verhaltensweisen, die nur den Anschein von Freiwilligkeit erwecken. Der klassische Eremit zieht sich zurück, um in der Einsamkeit mehr über sich, das Universum und seinen Platz darin zu erfahren. Für die meisten von uns ist dies nicht nur deshalb nur noch schwer möglich, weil es in der von unserer Zivilisation überrollten Welt kaum noch entsprechende Rückzugsräume gibt, sondern weil die Komplexität, die diese Zivilisation mittlerweile erreicht hat zu einer Überforderung führt, angesichts derer wir froh sind, nicht allzu viel über dieses Universum, geschweige denn unseren möglichen Platz darin wissen zu müssen. Gebeugt unter äußeren Zwängen isolieren wir uns dann und stabilisieren damit genau jene Zwänge, die uns erst in die Isolation gedrängt haben. Und gleichzeitig vereinsamen wir in der Isolation, denn so beschützend sie auch sein mag, in der Eindimensionalität unserer Blase können unsere Gedanken nichts anderes tun, als sich dauernd um sich selbst zu drehen. Dann schrumpft die Blase und wird schnell zum sprichwörtlichen Schwarzen Loch, das alles in sich aufsaugt und alles in sich vernichtet, von dem wir bis eben noch geglaubt haben, dass es uns ausmacht.

Aber ich würde dieses Bild nicht so düster zeichnen, wenn ich nicht gleichzeitig einen Lichtblick parat hätte.

Wir haben es uns in unserem Sprachgebrauch angewöhnt, den begriff Quantensprung auf Ereignisse von großer Wirkung anzuwenden. Auf dem ersten Blick erscheint dies widersinnig, ist doch ein Quantensprung der kleinstmögliche energetische Sprung in unserem physikalischen Weltbild. Aber seit der Entdeckung des Schmetterling-Effektes und seiner Beschreibung durch meinen Lieblingsautor Terry Pratchett in Gestalt des Quantenwetter-Schmetterlings, dessen Flügelschlag an einem Ende der Welt einen Tornado an deren anderen Ende verursacht wissen wir, dass selbst kleinste Ursachen umfassende Wirkung haben können. Selbst das oben als monströse Metapher zitierte Schwarze Loch verliert, als sehr reales astronomisches Objekt betrachtet, Masse dadurch, dass sich an seinem Rand – vereinfacht ausgedrückt – Elementarteilchen auf der Quantenebene, also der kleinstmöglichen, nicht entscheiden können, ob sie nun drinnen oder draußen sein wollen. Irgendwann zerfallen dann selbst die schwärzesten Löcher zu Nichts, nach kosmologischen Maßstäben betrachtet einer der größten Blasenzerplatzer des Universums überhaupt.

Von der kosmologischen auf die Fast-Quantenebene des Individuums heruntergeschrumpft heißt das für mich, dass ich mich auch weiterhin darum bemühen werde, die Blase, die mich umgibt zum Platzen zu bringen. Ich muss deshalb als Individuum sprechen, weil ich sehr wohl die Redensart kenne, dass wer mit dem Finger auf andere zeigt mit drei Fingern auf sich selbst zurück deutet, und weil es mir gerade in letzter Zeit nicht gelungen ist, meine Blase zu verlassen, statt dessen habe ich mich immer mehr isoliert. Aber ich kann von mir sagen, dass ich dagegen ankämpfe. Ich tue dies in kleinen, in kleinsten Schritten und vertraue auf das Chaos in mir, daraus große Wirkung erwachsen zu lassen, das Chaos, das nach neuesten mathematischen Erkenntnissen die ordnende Kraft im Universum darstellt. Ich muss auch deshalb als Individuum sprechen, weil ich mich nicht in der Position sehe, in messianischer Sendung über meinen Mitmenschen zu wandeln und ihre Isolationsblasen zum platzen zu bringen, unabhängig davon ob sie dies nun wollen oder nicht. Dazu muss ich noch viel mehr an mir selbst arbeiten. Nach islamischer Tradition solle niemand den Kleinen Dschihad, das ist der bewaffnete Kampf, beginnen, der nicht den Großen Dschihad, das ist die Arbeit an sich selbst, abgeschlossen hätte. Nebenbei bemerkt gilt der Große Dschihad als nicht abschließbar, aber das ist Thema für ein anderes Heft. Da sehe ich mich lieber an der Stelle des in der klassischen arabischen Literatur so benannten al-Mushtaq, einer, der sich sehnt. Nach dem Herausgehen aus der Isolation nämlich. Das geht aber auch nicht allein, denn das Herausgehen aus der Isolation ist ja per definitionem die Überwindung des Alleinseins. Gemäß dem vorher gesagten kann ich meine Mitmenschen nur bitten, kommt auch Ihr aus Eurer Isolation heraus, den Versuch ist es wert, und ich komme Euch gerne entgegen. Und zu meinem einzelnen metaphorischen Gegenüber sage ich ganz konkret:

"Ich will die Blase Deiner Isolation nicht zum Platzen bringen. Ich kann Dir die Nadel geben, mit der Du es tun kannst, durch Deine Hülle hindurch, ohne sie zu zerstören; das geht mittels Quantentunneleffekten. Platzen lassen kannst Du sie dann selber."
PLOP!

 

 


 

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