Erschienen in : Donaustrudl Frauen
Nr. 149, September 2011

 

Als ob es erst gestern wär...

Gewalt gegen Frauen ist ein wichtiges Thema. Nur wenige werden die Richtigkeit dieses Satzes in Zweifel ziehen wollen. Viele tun es, traurige Wahrheit. Nie die Einzelschicksale aus den Augen verlieren, auch dieser Satz stammt aus dem Lehrbuch und ermahnt, die richtige und auch notwendige professionelle Distanz nicht zu weit gehen zu lassen.

Ich trenne mich hiermit für die nächsten paar Zeilen von meiner professionellen Distanz.

Ihr Name ist Sarah, am 15. August war ihr zehnter Todestag, einen Tag später wäre sie 36 Jahre alt geworden. Sie hatte ein kurzes Leben, und es war geprägt von Gewalt, Misshandlung und Missbrauch, psychisch wie körperlich, von frühester Kindheit an. Erträglich war dieses Leben für sie ab einem bestimmten Zeitpunkt an nur noch mit Alkohol, Medikamenten und Drogen, irgendwann hat dann für all das das Geld nicht mehr gereicht, und ich bitte um Verständnis, wenn ich an dieser Stelle nicht weiter ins Detail gehen will.

Wir haben uns in einem Internet-Forum zum Thema "Psychische Krankheiten" kennen gelernt, irgendwann zum ersten mal telefoniert, irgendwann dann fast täglich, und fast täglich habe ich ihre Erzählungen gehört, von Vergewaltigungen, von den Misshandlungen durch Freier, von den Selbstmordversuchen und den Aufenthalten in der Psychiatrie. Sie wollte weg aus diesem Sumpf aus Drogen und Gewalt, sie wollte mich besuchen kommen, und wir haben beide gewusst, dass sie nicht mehr nach Frankfurt zurück gehen würde. Dazu kam es dann nicht mehr.

Ich will nichts beschönigen, Sarah ist elend verreckt, an den Giften, die sie sich selbst verabreicht hat, als für sie alles zu viel geworden ist, und an der Situation, in der sie leben musste.
Ich mache das gleiche, was viele Hinterbliebene eines Selbstmordes machen, ich suche nach Schuldigen, und das tue ich auch heute noch. Sarah ist einen dreckigen Tod gestorben, und wenn ich anfange, solche dreckigen Tode als natur- oder gottgegeben hinzunehmen, verliere ich meine Menschlichkeit. Es wäre unaufrichtig, diese Suche nicht bei mir selbst zu beginnen. Ich kann für mich anführen, dass ich damals jünger und sicher dümmer war, dass ich im Rahmen meiner damaligen Möglichkeiten sehr viel für sie getan habe. Aber eben nicht alles, denn sonst wäre sie noch am Leben. Das ist die Schuld, die ich zu tragen habe.

Aber ich trage diese Schuld nicht allein. Zu mir gesellt sich ihre so genannte Familie, die einen gewaltigen Anteil an der Unerträglichkeit von Sarahs Leben hatte, ihre Kollegen, über deren Mobbing sie sich so oft beklagt hat, all die vielen Männer ... ich will es nicht schreiben, ich empfinde es immer noch als ekelerregend, wie Menschen so mit ihresgleichen umgehen können. Und auch die Ärzte, die sie wenige Stunden vor ihrem Tod als stabil aus der Klinik entlassen haben müssen sich zumindest mit dem Gedanken beschäftigen, etwas übersehen zu haben.

Eines kann ich auch und gerade mit zehn Jahren Abstand ruhigen Gewissens von mir sagen, ich liebe Sarah. Ich habe sie damals schon geliebt, und auch bei allem, was in der Zwischenzeit passiert ist habe ich nie aufgehört, sie zu lieben. Dass ich mir nie getraut habe, ihr das zu sagen tut mir bis heute weh. Wie gesagt, ich will nichts beschönigen, nicht an der Situation von vor zehn Jahren, und auch nicht an der aktuellen Situation. Viele Leserinnen und Leser des Donaustrudl, die jetzt dieses Heft in der Hand halten, waren oder sind immer noch Opfer von Gewalt und Missbrauch, körperlich wie psychisch, und sind einem enormen Leidensdruck ausgesetzt. Aber auch das ist wahr, dass manche unserer Leserinnen und Leser Täter sind.

Und lange habe ich überlegt, was ich nun an dieser Stelle schreiben soll. An die Opfer wende ich mich immer wieder, so auch mit professioneller Unterstützung an anderer Stelle in diesem Heft. Aber wie soll ich mich an die Täter wenden. Ich kann es nicht.
Wenn Christen vergeben sollen, nun, dann bin ich wohl kein Christ, denn den Menschen, die Sarah all das angetan und sie letztlich in den Tod getrieben haben kann ich nicht vergeben, eine Aussage, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt mich selbst mit einschließt. Aber ich habe eine Aufgabe erhalten, und wenn von einem Christen erwartet wird, dass er seine Talente investiert (vgl. Mt. 25, 14-30), nun, zumindest das habe ich getan.

 

 


 

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