vorgesehen für : Donaustrudl Der Baum
Nr. 157, Mai 2012
nicht veröffentlicht

 

Von Bäumen, vögeln und Menschen

Eine Baumbetrachtung

Bei genauerer Betrachtung zerfällt ein Baum in drei Teile. Nein, das stimmt natürlich nicht. Sie können einen Baum noch so konzentriert anstarren, wenn es darum geht, in Teile zu zerfallen, hält er vermutlich länger durch als Sie. Also nochmal das Ganze. Wenn man einen Baum in Hinblick auf seine topologische Struktur betrachtet, lässt er sich grob in drei Teile gliedern. Und Sie merken es schon, liebe Leserin, lieber Leser, und haben es vermutlich gerade laut ausgerufen oder zumindest in aller Deutlichkeit gedacht: Schon wieder ein sprachkritischer Artikel vom Rimböck. Ich kann Sie beruhigen, die Sprachkritik dient mir nur als Einstieg. Später geht es noch um Sex, lesen Sie also weiter, es wird noch spannend. Aber nun zurück zum Baum.

Zugegeben, bei dem Thema "Der Baum" stand ich vor einem Problem, das bei Architekten wie Baiser-Bäckern gemeinhin als Idealvorstellung gilt - mir ist nichts eingefallen. Also greife ich auf ein schon oft erfolgreich eingesetztes Konzept zurück und nehme den Baum, wenn schon nicht mit einer Kettensäge, dann zumindest begrifflich auseinander.

Ich beginne mit dem Teil des Baumes, der gerne vergessen wird, da er sich der Betrachtung dadurch entzieht, dass er sich unter der Erde befindet, der Wurzel nämlich. Auf Latein heißt die Wurzel radix und bildet somit nicht nur die Grundlage für das Wachstum des Baumes, sondern auch für das deutsche Wort radikal. Im Wörterbuch des Gutmenschen (Ich hab' das böse Wort gesagt, vgl. DS IV/2012) wird radikal deshalb oft gern erläutert als "an die Wurzel gehend" oder "von der Wurzel bzw. vom Ursprung her betrachtet". Damit sind dann die Radikalen die Guten, weil sie nicht lange an Symptomen herumdoktern, sondern die Wurzel des Problems herausreißen. Im Zweifelsfall mit Pistolen, Bomben und Brandsätzen, und eben das, was sie für die jeweilige Wurzel des Problems halten. Aber es gibt noch einen anderen Bezug zwischen der radix und den Radikalen. Die im Dunkeln sieht man nicht, so wissen wir seit der Moritat von Mackie Messer, und deshalb lieben es Wurzeln wie Radikale gerne im Untergrund, wo sie sich verzweigen, bis sie ans Licht kommen und ihren radikalen Ansichten ebensolche Taten folgen lassen, die dann meist und besonders gerne von Gutmenschen (Schon wieder! Böser Rimböck!) mit Bestürzung zur Kenntnis genommen werden. Apropos stürzen. Wird ein Baum nicht gefällt, sondern fällt er einfach so um, so sagt man, er sei entwurzelt. Dabei stimmt das sprachwissenschaftlich betrachtet gar nicht, denn seine Wurzeln hat er dann überwiegend noch, lediglich ans Licht gebracht wurden sie. Ausgewurzelt wäre der bessere Ausdruck und ist auch der passende Gegenbegriff zu angewurzelt. So mancher Zeitgenosse steht gelegentlich wie angewurzelt, und eine in Regensburg in den letzten Jahren immer beliebter gewordene Freizeitbeschäftigung ist die inviatorische Stasis mit latroambulanter Impotenz. Das hat jetzt noch nichts mit Sex zu tun, sondern heißt auf Deutsch soviel wie "im Weg stehen und nicht zur Seite gehen können", und man kann von Glück sagen, wenn das Phänomen nur die Körperhaltung und nicht auch die gedanklichen Vorgänge der Betroffenen umfasst. Zugegeben, ich bin gerade dabei, die Wurzel ganz schön schlecht zu machen. Aber es gibt auch brave Wurzeln. Die Graswurzelbewegung zum Beispiel, die sich aus lauter braven Leuten zusammensetzt. Da wird aus radikal dann schnell ridicule, und das ist französisch und heißt lächerlich. Ein Beispiel, über das hoffentlich auch Graswurzler lachen können: Leider lautet der Titel des Heftes "Der Baum" und nicht "Das Gras". Deshalb muss ich über Bäume schreiben und kann mich nicht der in jüngster Zeit wieder diskutierten Legalisierung von Haschisch und Marihuana zuwenden, und deshalb kann ich auch nur diesen Tipp geben: Liebe Kinder, raucht kein Laub. Das führt nur zu Schädelweh und Brechdurchfall, und hinterher kommt man sich vor wie ein Depp.

Aber ich greife vor, denn bevor ich mich dem Laub zuwende folgt beim Baum das Mittelstück, nämlich der Stamm. Obwohl er wie gerade erklärt ohne Wurzel einfach umfallen würde, fängt der Baum für die meisten Leute erst beim Stamm so richtig an. Das mag zu einem gewissen Teil auch daran liegen, dass der Baumstamm die hundsgemeine Angewohnheit hat, sich einem immer mitten in den Weg zu stellen, wenn man sich nach der siebten oder achten Halbe entschlossen hat, nun doch endlich den Biergarten zu verlassen und nach Hause zu gehen. Bier und Garten, das passt also eigentlich gar nicht zusammen. Aber natürlich gehen wir ja auch nicht in den Biergarten, um uns zu betrinken, sondern um das bayerische Nationalgericht, den Schweinsbraten, zu essen. Und bei Stamm und Schwein fällt mir schon etwas älteren Berufsjugendlichen ein Zitat meines geschätzten Mitniederbayern Django Asül ein, das er vor einigen Jahren angesichts der Schweinegrippe-Krise dem damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber in den Mund gelegt hat. "Stamm, pass auf Schweine auf!", lässt der Kabarettist den Landesvater zur damaligen Sozialministerin Barbara Stamm sagen und setzt erläuternd hinzu: "Weil in Bayern, für Schweine ist zuständig Sozialministerin." Ein Aufschrei gellt durch mein Hirn. Dieses Zitat hat ganz und gar nichts Braves an sich, denn sowohl als sozial Engagierter wie sozial Derangierter mag ich es nicht, als Schwein bezeichnet zu werden. Dann schon lieber als Ferkel. Und nun, liebe Leserin und lieber Leser, ist es endlich so weit, ich komme zum Sex.

Geäst verhält sich zu Ast wie Gebirge zu Berg, Gebüsch zu Busch und wie ... ja, wie Gesundheit zu Sünde. Ich gebe zu, sprachwissenschaftlich ist das Schwachsinn, aber die These, dass man sündigen solle, um gesund zu bleiben verschafft mir eine gute Überleitung.

Spätestens seit Wilhelm Reich 1933 seine "Massenpsychologie des Faschismus" veröffentlicht hat wissen wir, dass ein direkter Zusammenhang besteht zwischen unterdrückter Sexualität und der Entwicklung von politisch radikalem (sic!) Gedankengut. Das gilt im Übrigen auch für Autoerotik, denn wer die Hand zum Hitlergruß erhebt bringt sie damit in den größtmöglichen Abstand zum Genitalbereich; ein Bild, das für sich selbst spricht, wie ich meine. Allerdings musste ich auch die erschreckende Beobachtung machen, dass gerade die sexuell Freizügigeren unter meinen Bekannten dazu tendieren, Anhänger der FDP zu sein, einer Gruppierung, die gerade in den letzten Wochen einmal mehr ihre Qualität als Nicht-Partei unter Beweis gestellt hat. Sexuelle Freizügigkeit würde demnach zu politischem Desinteresse führen. Nun lebt aber das demokratische Ideal ja gerade vom Interesse und der politischen Mitwirkung der Bürger. Während zu wenig Sex also lauter Radikale hervorbringt gefährdet zu viel Sex die Demokratie auf subtilere Weise. Die 68er Kommunarden machten es uns vor. "Was kümmert mich Vietnam, solange ich Orgasmusprobleme habe!", hieß es aus deren Kreisen und bestätigt eindrucksvoll die These vom antidemokratischen Koitus. Das richtige Maß muss also gefunden werden. "In der Woche zwier schadet weder ihm noch ihr", sprach Martin Luther dereinst. Für manche mag dies eine gewisse Einschränkung mit sich bringen, für andere eine erhebliche Verbesserung darstellen. Wem dieses Thema zu anstößig erscheint, dem zitiere ich Woody Allen. "Sex ist nur schmutzig, wenn er richtig gemacht wird", sagte der, und ich füge hinzu, Politik ist nur schmutzig, wenn sie falsch gemacht wird. Schmutziger Sex und saubere Politik wären also das demokratische Ideal, das präventiv gegen Radikale wie Desinteressierte wirken würde. Ich bin so konsequent und beschäftige mich mit beidem. Und da ich mir darüber hinaus die Freiheit nehme, mich für das ganze kleine tagespolitische Brimborium nicht mehr zu interessieren nehme ich mir genau so die Freiheit, auch öfter als zweimal die Woche zu schnackseln, wenn auch aus technischen Gründen meist für mich alleine, und um mögliche zarte Seelen in meinem Umfeld nicht allzu sehr zu irritieren, ziehe ich mich zum verschärften Kuscheln unter Damenbeteiligung mittlerweile ins benachbarte Inland nach Baden-Württemberg zurück, wo die Graswurzler ja gerade lernen, wie man Bahnhöfe baut. Und jetzt wissen Sie auch, warum das vögeln im Titel klein geschrieben ist. Das setzt dem Ganzen jetzt die Krone auf, in diesem Fall die Baumkrone.

Gut Holz wünscht

Ludwig Rimböck (erreichbar über ludwig@rimboeck.org)

 

 


 

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